Sprachlich ist „Energie für Centaur“ sicher der stärkste Band der Centauren-Trilogie. In der braungraudreckigen Wüste des zweiten Planeten von Proxima Centauri schmeckt man beim Lesen förmlich den Staub zwischen den Zeilen. Kröger blickt wieder weit in die Zukunft, antizipiert gar die Entwicklung der E-Mail – die er „Postspeicher“ nennt. Ein unabhängiges Internet steht wohl aber zum Zeitpunkt des Schreibens noch nicht auf dem Plan. Dafür habe ich aber noch eine weitere Neuerung entdeckt, die mir so in der sozialistischen Gedankenwelt der Phantastik noch nicht untergekommen ist: Interplanetarer Sex. Der scheint zu funktionieren. Mehr wird aber nicht verraten.
Aber zurück zum eigentlichen Plot: Schreibt Alexander Kröger hier etwa eine Parabel auf das sozialistische Wirtschaftssystem? In einer Art Joint-Venture zwischen Menschen und Centauren soll ein technisches Projekt verwirklicht werden, dass die Energieknappheit des Heimatplaneten der Außerirdischen lösen soll. Doch Gernot Wach und seine Lebensgefährtin Josephine stoßen überall auf Hemmnisse, Ignoranz und Apathie. Kommunikation von der Leitung an die Arbeitsebene findet nicht statt. Hinweise und Kritik von unten nach oben werden dagegen ignoriert. In der Wüste liegen Metallreserven von Unfällen (die durch Sabotage entstanden?), die aber nicht gehoben werden. Welche Rolle spielt der leitende Wissenschaftler Jercy, der gleichzeitig Josephines Pflegevater und damit Gernots Schwiegervater in spé ist?
Zwanzig Jahre ist es her, dass die Centauren auf dem von Menschen besiedelten Mars landen. Dort haben sie ihre – Gerüchten zufolge – eine Form des Zusammenlebens entdeckt, die nicht mehr dem starren Bienenstaats-Prinzip (á la Stalin?) entspricht, sondern wo sogar Individuen über eigenen Nachwuchs entscheiden können sollen. Darüber ist auf dem Heimatplaneten aber nichts offiziell bekannt.
Und siehe da: natürlich gibt es eine Separatistengruppe unter den Centauren. Angeführt von einem gewissen Lim soll die Zusammenarbeit mit den Menschen eingestellt, oder wenigstens behindert werden. Die Besucher von der Erde sollen schnellstmöglich dahin zurückkehren, wo der (irdische) Pfeffer wächst. Zurück geht die Bewegung wohl auf einen gewissen Nad – und den kennen wir bereits als Unruhestifter vom „Kosmodrom im Krater Bond“.
Von der Kolonie der Centauren auf dem Mars kehren einige der „Invasoren“ auf den Heimatplaneten zurück. Der Großteil nimmt seinen zugewiesenen Platz in der Gemeinschaft auf. Aber eine kleine Gruppe von Separatisten unter der Führung von Myn (auch die kennen wir aus dem Vorgänger-Roman, allerdings um einige Jahrzehnte jünger) setzt sich in den Untergrund ab, begibt sich „neben die Gesellschaft“.
Revolution? Klassenkampf? Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Ansätze bekämpfen einander. Mindestens drei Strömungen gibt es: die konservativen, vertrieften Centauren. Daneben stehen die Hardcore-Autonomen, die Bürokratie gegen Individualität für ihre „Beweger“ eintauschen. Und dann eben noch die „vermenschlichten“ Centauren. Bei aller Auseinandersetzung steht aber immer im Vordergrund, dass Leben geschont wird. Ein wiederkehrender Ansatz bei Alexander Kröger.
Welche Gesellschaftsform wird sich am Ende als „gut“ durchsetzen? Und auf welche Seite werden sich die Menschen stellen? Gibt es überhaupt ein „Gut“ und „Nicht gut“?
Zum Ende hin wird das Ganze dann noch mal richtiggehend rasant. Und auch, wenn der Roman in sich rund und abgeschlossen ist – hier liegt ein enormer Cliffhanger ungenutzt auf dem fernen Planeten herum. Ich hätte gern noch einmal die Centauren mit Alexander Kröger besucht.
Über das Buch „Energie für Centaur“
Nach „Sieben fielen vom Himmel“ und „Das Kosmodrom im Krater Bond“ schließt „Energie für Centaur“ die Trilogie rund um die Begegnung zwischen Menschen und den Bewohnern des zweiten Planeten im System Proxima Centauri ab. 1983 erschien der Roman – wieder im Verlag Neues Leben, Berlin. Unter der ISBN 978-3-945713-33-4 findet sich heute die moderne Neuauflage der Edition Solar-X 2017 auf dem Markt. Wolfgang Kucher beschäftigt sich auch mit „Energie für Centaur“ – und bemüht in seinem Blogartikel auch einen Beitrag von Hartmut Mechtel „Lichtjahr 4 – Ein Phantastik-Almanach“ für die Einordnung der Ideen Alexander Krögers.
Über den Autor
Alexander Kröger, der im richtigen Leben Dr. Helmut Routschek hieß und 1934 in der heutigen Tschechischen Republik geboren wurde, hatte nach der Wende einen wirtschaftlichen Neuanfang als Schriftsteller geschafft. So sah es zumindest aus. Lange Jahre hatte seine Frau Susanne seine Bücher vertrieben, bevor 2008 Projekte-Verlag Cornelius Halle sein Gesamtwerk ins Sortiment aufgenommen hat. Der Druckkosten-Zuschuss-Verlag ist 2014 mit einem Insolvenzverfahren gelöscht worden. Die Gesamtausgabe war da noch nicht abgeschlossen.
Ursprünglich hatte Routschek Markscheidewesen und Bergschadenkunde studiert, arbeitete in „Schwarze Pumpe“ und im Tagebau Spreetal. Weitere Details zu seinem Leben gibt es auf seiner Wikipedia-Seite.
In Ego-Episoden des Alexander Kröger: Wahres, heiter und besinnlich erzählt der Autor aus seinem Leben.
Im Januar 2015 verunglückte Dr. Helmut Routschek mit seiner Frau bei einem Autounfall an einer Autobahnabfahrt so schwer, dass er an den Folgen im April 2016 verstarb. Er wurde in Dresden beigesetzt.
Auf der Webseite von alexander-kroeger.de ist zu erfahren, dass der langjährige Lektor und Partner des Autors, Wilko Müller jr., seit Januar 2017 in der Edition Solar X eine komplett neue Alexander Kröger Werkausgabe mit 20 ausgewählten Romanen, Essays und Storysammlungen herausgibt. Diese bestellt man am besten im Shop der Edition. In Bewegung sieht man Helmut Routschek hier in diesem Video von Lausitz TV Cottbus.
Weitere Werke, die im Phantastischen Bücherschrank von Alexander Kröger besprochen wurden: Sieben fielen vom Himmel, Das Kosmodrom im Krater Bond, Vermißt am Rio Tefé.
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