Gemeinhin wird ja angenommen, dass die Fortsetzung eines Buches schlechter als das ursprünglich Buch ist. Wenn das auf „Nabou“ zutrifft, dann freue ich mich jetzt schon auf das Original: „Als die Götter starben“ – denn ähnlich wie damals bei den Tolkien-Büchern, die ich als Teenager gelesen habe, bin ich auch hier wieder völlig entgegen der ursprünglichen Leserichtung unterwegs gewesen. Und Nabou rockt.
Vielleicht stelle ich kurz den Inhalt vor: Im Libanon versammelt sich eine Gruppe von weltweit anerkannten Wissenschaftlern, um sich an Bord des Forschungs-Ubootes „Sindhbad“ unter den Boden des Mittelmeeres zu buddeln. Zehntausend Meter unter dem Meeresgrund wollen die Forscher einen Überblick über die dort verborgenen Bodenschätze bekommen, die später, wenn der Meeresspiegel des Mittelmeeres abgesenkt wird („Projekt M“), abgebaut werden können. Angeführt wird die Unternehmung von dem exzentrischen Nabou Tebar, einem unnahbaren, menschenscheuen Allroundtalent.
Will Pertenkamp, der Geologe und gleichzeitig auch der Ich-Erzähler des Buches, misstraut dem Sonderling. Wahrscheinlich auch, weil er sich ganz unprofessionell gleich zu Beginn der Reise in die Ingenieurin und Baalbek-Expertin Yamina Farah verliebt – und diese wiederum eine seltsame Bindung an Nabou hat.
Während die Gesellschaft ganz im Stile eines Jules Verne unter die Erdoberfläche vordringt, dabei knapp der Vernichtung entgeht und Heldenmut auslebt, verdichtet sich bei Pertenkamp mehr und mehr der Verdacht, dass Nabou gar kein Mensch, sondern ein „Biomat“ ist – ein gezüchtetes Leben, ein lebender Roboter.
„Sind Sie jetzt bereit über sich zu sprechen?“
„Es gibt über mich nichts zu sagen. Das hatten Sie doch schon eingesehen.“
„Ich hatte es aufgegeben, nach Ihrem Geheimnis zu forschen, Nabou. Eine Schwäche, die ich überwunden habe.“
„Sie wollen das Gesicht des Windes sehen.“
„Also wäre ich ein Narr?“
„In jedem Menschen steckt ein gut Teil Narrentum. Wo aber hört die Klugheit auf, wo beginnt die Narretei? Wonach sie auch fragen und forschen mögen, Pertenkamp, es ist umsonst. Gehen Sie Ihren Weg, ich gehe den meinen.“
Unerwartet reichte er mir die Hand. „Ich bin in Eile.“ Es klang unsicher. „Leben Sie wohl!“
Gilt der Roman „Nabou“ auch als einer der Meilensteine der Prä-Astronautik der DDR-Science-Fiction, so ist er beiweiten nicht nur das. Er geht tief: in die menschliche Psyche, in die Moral und Ethik der technischen Weiterentwicklung (stellenweise vergleichbar mit den Moral-Diskussion in Szameits „Alarm im Tunnel Transterra“), und natürlich auch ein wenig in die Welt der Para-Wissenschaften – etwa wenn wir auf den Terassen von Baalbek auf den Spuren der weit fortgeschrittenen außerirdischen Meju-Zivilisation herumtapsen – die offenbar Nabou (und seine Vorläufer) zurückgelassen haben als Bindeglied zwischen einer Gesellschaft auf Steinzeit-Niveau und ihrem neuen Heimatplaneten – und der bis heute die Mejuaner auf dem Laufenden hält, wie weit die Menschheit sich entwickelt hat.
Für einen Roman aus den späten Sechzigern kommt Krupkat mit einer Menge Selbstverständlichkeiten daher: Menschen kommunizieren mit kleinen Handgeräten, sogenannten „Videophonen“. Neben der Station auf dem Mond durchqueren Raumfahrer in Silunit-Schiffen das All – einem durchsichtigen, sehr festen Metall. Auf der Erde bewegen sich Menschen in Städten auf Rollbändern vorwärts, und auf den Fernstraßen sausen schwebende Transporter durch die Gegend. Für ein paar Nachforschungen reist Pertenkamp, der bis dahin in der Antarktis gelebt hat, auch mal eben von Europa nach Australien – den Überschall-Linienflugzeugen sei dank.
Über „Nabou“ von Günther Krupkat hat Stefan Jahnke eine Rezension verfasst. Auch Petra Trapp hat sich kurz mit dem Buch auseinandergesetzt.
Über das Buch „Nabou“
„Nabou“ ist 1968 im Verlag Das Neue Berlin erschienen.
Über den Autor
In der Person Günther Krupkats vereinen sich die beiden Berufe, die für einen Science-Fiction-Autor offenbar die perfekte Mischung sind: Ingenieur und Schriftsteller. Am 5. Juli 1905 in Berlin geboren wuchs er direkt in die Zeit des Nationalsozialismus herein. Aus Geldmangel musste er sein Ingenieurstudium abbrechen und schlug sich als Fabrikarbeiter und Elektromonteur, aber auch als Reklametexter, Filmdramaturg und Journalist durch.
Eine erste utopische Erzählung („Od“) fiel 1924 bei den Verlagen durch, weil sie ideologisch zu weit links stand. Offenbar blieb er sich und seinen politischen Idealen auch in den Folgejahren treu: durch seinen Widerstand gegen die Nazis musste er in die Tschechoslowakei flüchten.
Nach dem Krieg lebte Krupkat in der DDR, beendete in Berlin sein Ingenieurstudium und arbeitete anschließend wieder für die Presse. Seit 1955 ist er freiberuflich tätig, vor allem im utopischen und phantastischen Feld.
Neben dem utopischen Arbeitsfeld tobt sich Krupkat auch anderweitig aus: 1957 erscheint mit „Das Schiff der Verlorenen“ ein Buch über den Untergang der Titanic. Ein Jahr später kommt dann „Das Gesicht“ heraus, dass er 1962 auch für das Fernsehen bearbeitet. 1960 wird das Schauspiel „AR 2 ruft Ikarus“ aufgeführt. Ein Jahr vor der Mondlandung beschäftigt er sich mit Fernsehspielen wie dem dreiteiligen Fernsehfilm „Die Stunde des Skorpions“, der Elemente seines Roman „Die Unsichtbaren“ verwendet und bei dem Krupkat auch Regie führt.
Auf seine Initiative hin gründete sich im DDR-Schriftstellerverband ein Arbeitskreis „Utopische Literatur“, dessen Vorsitzender er von 1972 bis 1978 war. 1985 gibt es als Lohn für die kontinuierliche Arbeit den Vaterländischen Verdienstorden in Silber.
Seine bekanntesten Werke, die in der Prä-Astronautik der DDR-Science-Fiction angelegt wurden, sind „Nabou“ und „Als die Götter starben“. Außerdem habe ich hier im Blog auch über „Die große Grenze“ aus seiner Feder geschrieben.
Andreas Reber hat sich auf seinem Blog Life in the 22nd century in der Autorenübersicht mit Günter Krupkat auseinandergesetzt. In der Wikipedia findet man Günther Krupkat hier. Auch in FictionFantasy.de gibt es einen Eintrag für Günther Krupkat.
Auch auf dieses Buch bin ich durch diesen Blog aufmerksam geworden, ebenso wie auf „Als die Götter starben“. Vielen Dank an den Autor, dass er darüber berichtet hat!
(Ich habe sogar Carlos Raschs „Der blaue Planet“ und „Als die Götter starben“ in die Wikipedia-Seite über antike Astronauten aufgenommen).
„Nabou“ ist jedoch anders. Für mich war es eine Mischung aus einer unterirdischen Reise (ähnlich dem Film „Der Kern“) und einer detektivischen Untersuchung einer mysteriösen Person. Mir hat der Roman sehr gut gefallen, auch wenn mir der Vorgänger – „Als die Götter starben“ – viel besser gefallen hat. (Vor allem wegen der Themen – Paläokontakt und Xenoarchäologie.)
In diesem Buch geht es viel mehr um Psychologie, auch wenn es weniger Charaktere und weniger Handlungsstränge hat. Außerdem gab es eine kurze Dreiecksbeziehung, wahrscheinlich, damit einige Leute diesen Roman mehr genießen konnten.
Eine sehr interessante Sache an diesem literarischen Werk ist jedoch, dass in einem der Anfangskapitel eine Figur die Geschichte aus dem Vorgängerroman mit einigen zusätzlichen Details erzählte, die so viel erklärten, dass mir erst dann klar wurde, wie viel ich von der vorherigen Geschichte nicht verstanden hatte 😀