Das zehnte Jahr - Ursula K. LeGuin - Buchcover

Das zehnte Jahr – Ursula K. LeGuin

Der Planet Werel, von den Sternenreisenden auch Alterra genannt, liegt im Sonnensystem von Gamma Draconis. Der Planet besitzt extrem langen Umlaufzeiten. Ein Jahr dauert etwa eine menschliche Lebensspanne, ein Mondumlauf entspricht in etwa einem irdischen Jahr. Die Ureinwohner des Planeten leben auf einer niedrigen Entwicklungsstufe, die in etwa der Jungsteinzeit auf der Erde entsprechen dürfte. Ein Kolonisationsschiff der Liga hatte den Planeten vor rund 600 Erdenjahren besucht und Kolonisten abgeladen, bevor es zu den Kampfhandlungen der Galaxie zurückkehrte. Von ihm hat man nie wieder gehört.

Die irdische Menschenkolonie auf dem Planeten Werel, die sich kraft Gesetzes freiwillig auf eine Entwicklungsstufe mit den Ureinwohnern stellt, unterliegt der Entropie und schrumpft aufgrund von biologischen Problemen bei der Fortpflanzung immer weiter zusammen. Zwischen der Stadt der Sternenreisenden und der Siedlung der Ureinwohner herrscht eine Art freundliches Desinteresse, friedliche Koexistenz. Vermischungen sind eher die Ausnahme.

Der Winter naht. Von Norden droht Gefahr. Die dortigen Nomadenvölker, die auf ihrem Weg in den Süden sonst immer separat agierten und kleinere Ziele angriffen, sollen sich verbündet haben. Damit stehen die Nachbarsiedlungen an der Küste unter Druck.

Rolery, ein Mädchen der Eingeborenen, die „außerhalb der Zeit“ geboren ist (literarisch soll damit wohl die Exotenrolle des Individuums in der Gesellschaft betont werden) lernt einen Einwanderer – Agat, den Chef der Einwandererstadt – kennen. Tiefe psychologische Verbundenheit (wir erinnern uns: die irdische Menschheit in der kosmischen Diaspora ist in der Lage, Gedanken zu übertragen – tut das aber nicht, um mit den weniger entwickelten Zivilisationen nicht zu viel Interaktion und Beeinflussung zuzulassen) führt dazu, dass beide eine Affäre miteinander beginnen.

Nach der Absprache der beiden Clanchefs, dass man der von Norden drohende Gefahr gemeinsam begegnen will, schlagen Verräter zu: aufgrund von Kleingeistigkeit und Xenophobie überfallen Ureinwohner den Clanchef der Einwanderer und vermöbeln ihn. Diese Insubordination führt zu einem Machtkollaps im Klan der Ureinwohner. Der alte Klanchef – der selbst dereinst mit einer der eingewanderten Frauen verheiratet war – resigniert.

Die verbündeten Horden des Nordens treffen nicht zuletzt aufgrund der Führungslosigkeit des Klans auf keinen nennenswerten Widerstand und vernichten die Stadt der Ureinwohner. Die Sternenreisenden befreien in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die letzten Überlebenden ihres Nachbarklans und bringen sie in die Sicherheit ihrer eigenen Stadt an der Küste, die jetzt ebenfalls belagert wird. Während weniger Tage blutiger Scharmützel wird der Leser Zeuge einiger Erkenntnisse: 600 Erdenjahre auf dem fremden Planeten gehen nicht spurlos an der Biologie der Eingewanderten vorbei. Sollte es sogar möglich sein, Nachwuchs zwischen den beiden Menschengruppen zu bekommen?

Und was ist eigentlich Heimat? „Komm, wir gehen heim“, ist nicht umsonst der letzte Satz des Büchleins, den Ursula K. LeGuin ihren Protagonisten Agat zu seiner Frau Rolery sagen lässt.

Fazit

Gewohnt plastisch, emotional und psychologisch betrachtend nimmt uns Ursula K. LeGuin mit auf einen wundersamen Planeten, um grundlegende philosophische Fragen in einem spannenden Konflikt zu beleuchten.

Über das Buch „Das zehnte Jahr“

Ich habe das Heyne-Paperback (Nr. 3604) der Herausgeber Dr. Herbert W. Franke und Wolfgang Jeschke von 1978 mit der ISBN 4-453-30511-6 mit 128 Seiten verschlungen. Im Original ist der Titel 1966 als „Planet Of Exile“ erschienen. Übersetzt hat Birgit Reß-Bohusch. Das Umschlagbild stammt von Johann Peter Reuter.

Das zehnte Jahr - Ursula K. LeGuin - Buchcover
Das zehnte Jahr – Ursula K. LeGuin – Buchcover

Interessant ist, dass der Autor des Klappentextes die Bezeichnungen für den Planeten der Handlung und dessen Sonne verwechselt. Der Planet, auf dem die Handlung spielt, heißt Werel („Die Welt“ nach LeGuin) oder Alterra. Im Klappentext ist die Rede von Eltanin, was ein traditioneller Name der Sonne des Systems Gamma Draconis ist. Übrigens: In 1,5 Millionen Jahren wird Gamma Draconis/Eltanin die Erde in einer Entfernung von 28 Lichtjahren passieren und damit zu einem der hellsten Sterne am irdischen Nachthimmel werden.

Klappentext

Ein Schiff der Liga setzt die Siedler, die es an Bord hat, auf Eltanin ab, dem dritten Planeten von Gamma Draconis, bevor es weiterzieht in ein Raumgefecht. Es kehrt nicht aus der Schlacht zurück. Die Siedler sind auf sich selbst gestellt und versuchen Fuß zu fassen, gründen einige Städte entlang der Küste, bauen Fluchtburgen auf Inseln im Meer, um sich gegen den Ansturm der Eingeborenen zu behaupten. Doch die Kolonie scheint unter einem Unglücksstern zu stehen, die Fehlgeburten häufen sich, die Bevölkerung schrumpft immer mehr zusammen, droht überrannt zu werden. Im zehnten Jahr zieht die Gefahr herauf. Die letzten Menschen haben sich in einer ihrer Städte verschanzt und bereiten sich auf den langen Winter vor.
Sechzig Erdenjahre dauert ein Jahr auf Eltanin, und da der Planet eine weite exzentrische Bahn um Gamma Draconis beschreibt, ist der Winter entsprechend lang: Für mehr als fünfzehn Jahre ertrinken die Kontinente in Schnee und Eis. Im Herbst bauen die seßhaften Eingeborenen ihre unterirdischen Winterstädte. Die Nomaden aus den Grasländern des Nordens brechen mit ihren Herden in wärmere Zonen auf, plündernd und mordend suchen sie die Städte heim, rauben deren Wintervorräte. Eine ungeheure Völkerwanderung wälzt sich gen Süden. Den Menschen wird klar, daß sie nur dann eine Chance gegen diese Flut haben, wenn sie Seite an Seite mit den seßhaften Eingeborenen den sengenden Horden entgegentreten, aber es wird sehr bald deutlich, daß selbst nach 600 Erdenjahren die Ressentiments auf beiden Seiten unüberwindlich sind. Ein verzweifelter Abwehrkampf beginnt – aber auch ein Funke Hoffnung entzündet sich.

Über die Authorin Ursula K. LeGuin

Der Name von Ursula K. LeGuin wird vor allem mit zwei literarischen Zyklen verknüpft bleiben: Die Erdsee-Saga, die wegweisend im Genre der Fantasy wurde – und das Hainish-Universum. Ihr Geburtsname Kroeber begleitet die Autorin als „K.“ in ihrem Namen (die Familie ihres Vaters stammte aus Kröbern in Thüringen). Ursula wird am 21. Oktober 1929 in Berkeley, Kalifornien geboren und wächst in einem akademischen Elternhaus auf. Ihre Eltern sind Anthropologen.

Sie studierte an der Ostküste der USA Literatur, vertiefte sich in die Geschichte der französischen und italienischen Renaissance und lernt in Frankreich 1953 ihren späteren Ehemann Charles A. Le Guin. Zusammen haben die beiden drei Kinder.

Seit 1962 schrieb sie Science Fiction, 1966 erscheint ihr erster Roman Rocannons Welt. In der Zeit bis 1974 erscheinen die meisten ihrer Fantasy- und SF-Romane – was sie zu einer Pionierin der amerikanischen SF macht (und damit zu einer Wegbereiterin der von mir sehr geschätzten Becky Chambers). Bis zu ihrem Tod im januar 2018 lebte Ursula K. LeGuin in Portland, Oregon. Einblick in ihre Gedanken liefert ein sehr schöner Dokumentarfilm – der auch einige Szenen am berühmten Cannon Beach in Oregon enthält, im Hintergrund der Haystack Rock – den ich schon seit meiner Kindheit im Richard-Donner-Film „The Goonies“ liebe. Hier ist der Trailer:

Im Januar 2018 starb Le Guin im Alter von 88 Jahren in ihrem Heim in Portland. Heinrich Stöllner widmete ihr im Zauberspiegel-Online einen gefühl- und respektvollen lesenswerten Nachruf.

Hier im Phantastischen Bücherschrank habe ich von Ursula K. LeGuin folgende Werke unter die Lupe genommen:

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