Tier? Pflanze? Oder etwas völlig anderes? Das Dickicht von Vilm ist das wahrscheinlich größte Wesen des Universums.

Karsten Kruschel – Vilm – Das Dickicht – Teil 3

Nun habe ich in wenigen Tagen einige Jahrzehnte Literatur verschlungen. Nicht nur, dass Karsten Kruschel einige Jahrzehnte mit dem Schreiben und Veröffentlichen der Vilm-Trilogie und damit auch des dritten Bandes Das Dickicht verbracht hat – auch auf dem Regenplaneten sind einige Jahrzehnte vergangen.

Und fast werde ich ein wenig melancholisch, wenn ich mich erinnere, dass dieser übergewichtige und sympathische Administrator Will mal ein kleiner Vierjähriger war, der nach dem Absturz des Kolonistenschiffes Vilm van der Ooosterbrijk mit dem Arzt Mechin um sein Leben und sein Überleben kämpfte. Eliza ist alt geworden. Und aus den notdürftig gebauten Unterständen gegen den alles beherrschenden Regen dieses seltsamen Planeten ist eine schnuckelige kleine Stadt geworden.

Tier? Pflanze? Oder etwas völlig anderes? Das Dickicht von Vilm ist das wahrscheinlich größte Wesen des Universums.
Tier? Pflanze? Oder etwas völlig anderes? Das Dickicht von Vilm ist das wahrscheinlich größte Wesen des Universums.

Einige Begleiter der Geschichte wie die einarmige Zentralierin Eliza oder Adrian Harenbergh haben bis zur letzten Seite durchgehalten. Andere sind zwischenzeitlich von uns gegangen. Einige Verstorbene und Verschollene werden wir noch lange schmerzlich vermissen. Bei einigen anderen hätte Gevatter Tod auch schon früher zuschlagen können.

Aber was passiert eigentlich im dritten Band von Vilm? „Das Dickicht“. Hmm. Nun ja. Eigentlich gar nicht so viel mehr oder weniger als im zweiten oder ersten Band. Aber dafür wird die Atmosphäre noch einen Zacken dichter. Freundschaften entstehen und wachsen. Intrigen und böse Absichten auch. Und immer steht im Mittelpunkt „Das Dickicht“ – dieses riesige, planetenumspannende „Gestrolch“ und seine Beziehung zu den Menschen, den Goldenen, der Drogen-Mafia von Atibon Legba, den Päpsten oder den Luciferanten, die nach seiner Zerstörung trachten und noch einer ganzen anderen Schar illustrer Mächte und Individuen, die alle ihr ganz eigenes Süppchen mit dem Riesenwesen kochen wollen. Einer will Profit, einer Macht, einer Wahrheit.

Vor allem die exotischen Blickwinkel des Autors auf bestimmte Bereiche des menschlichen Lebens sind sehr belebend: der Orden der Goldenen Bruderschaft als Karikatur des modernen Finanzhais, der nackt, mit goldenen Implantaten und einer undurchdringlichen Folie umhüllt ist. Die Religionen und Sekten, die interstellare Hierarchien hervorbringen.

Dabei sind es nicht nur die großen Gedanken, die Karsten Kruschel treibt: auch in den kleinen Universen versteht er, ganz viel Gefühl zu hinterlassen: bei den Nachträglich Zusammengesetzten wie Toronlukas oder Lukaschik etwa, die in ihrer Anmutung den Menschen unserer Gesellschaft ähneln, die wir gern salopp als geistig behindert beschreiben. Sicher hat dem Autor dabei auch geholfen, dass er mal eine zeitlang auf einer psychiatrischen Station gearbeitet hat. Vielleicht sollten das mehr Menschen tun. Das würde den Blick auf unsere Nachbarn, Zeitgenossen und Kontrahenten wesentlich entspannen.

Der Charme von „Das Dickicht“ insgesamt betrachtet beruht nur teilweise auf seiner vordergründigen Handlung. Viel wichtiger ist mir: Die Lektüre bringt mich zurück auf meinen liebgewonnenen Regenplaneten.

Treffend beschrieben hat Wolfgang Kucher das in seinem Blog:

„Es erscheint wie ein nach Hause kommen in eine atemberaubende Parallelwelt. Es gibt wenige Bücher, die ich so vorbehaltlos empfehlen kann wie jene deren Erzählreigen im weitesten Sinne um den Planeten Vilm kreist…“

Auch Gunther Barnewald hat sich intensiv mit dem Buch auseinandergesetzt.

Fazit

Die Vilm Trilogie - Karsten Kruschel - Umschlagillustration: Ernst Wurdack - mit freundlicher Genehmigung des Verlages
Die Vilm Trilogie – Karsten Kruschel – Umschlagillustration: Ernst Wurdack – mit freundlicher Genehmigung des Verlages

Es ist kein einfaches Buch. Es erfordert geistige Hingabe. Aber wenn man die Vilm-Trilogie mit offenen Armen annimmt, dann gibt sie einem eine ganze Menge zurück. In sich verwobene Plots, abgehackte Kapitelübergänge, ständig neue Intrigen, neue Mächte, neue Interessen, neue Wege, neue Gefahren. Das alles will im Kopf geordnet werden. Aber der Aufwand lohnt sich. Ich bleibe bei meiner Einschätzung von vor wenigen Tagen: Dieser Geschichten-Reigen ist das beste originär deutschsprachige Buch, was ich im Jahr 2017 lesen durfte.

Und ganz am Ende gibt es – wie scheinbar zum Trost, dass auch das beste Buch mal enden muss – noch ein Bonuskapitel, dass uns zurück führt in die Zeit kurz nach dem Absturz. Vom Ursprung der Regendrachen gibt uns vor allem eines mit auf den Weg: Das überall dort, wo es Hoffnung gibt, tatsächlich eine gute Zukunft liegt. Und ich habe die Hoffnung, dass es nicht der letzte Band ist, der mich mit auf den Regenplaneten nimmt.

Über das Buch Vilm – Das Dickicht

Vilm - Das Dickicht - Karsten Kruschel - Umschlagillustration: Ernst Wurdack - mit freundlicher Genehmigung des Verlages
Vilm – Das Dickicht – Karsten Kruschel – Umschlagillustration: Ernst Wurdack – mit freundlicher Genehmigung des Verlages

Ausführlicher als bei den beiden ersten Bänden gestattet sich der Autor diesmal, seinen Kosmos auf 309 Seiten auszubreiten.

Wieder ist der Wurdack-Verlag in Nittendorf das Heim des Werkes. Das Buch ist dort 2013 unter der ISBN 9-783-938065-93-8 erschienen. Auf der Webseite des Verlages gibt es eine Leseprobe als PDF.

Vilm – Das Dickicht hat 2014 den dritten Platz des Deutschen Science Fiction Preises in der Kategorie „Bester deutschsprachiger Roman“ und den dritten Platz des Kurd-Laßwitz-Preises 2014 gewonnen.

Ein Hörbuch gibt es auch für diesen Band (leider noch) nicht.

Die Geschichte der Trilogie ist fast ebenso spannend wie die Bücher an sich. Die ersten Ideen dazu reichen zurück in die 1980er Jahre. Bereits in Das kleinere Weltall begegnet uns das Suchkommando für die Vilm van der Oosterbrijk, das als Der glückliche Lotse den Auftakt zu Die Eingeborenen macht. Es gibt aber noch ältere Kapitel des Buches, dass zur Wendezeit schon einen Verlagsvertrag hatte – und dann doch nicht erschien. Jahrelang lag diese wunderschöne Geschichte brach, bevor der Wurdack-Verlag darauf aufmerksam wurde und 2009 extrem überarbeitet und zweiteilig als „Der Regenplanet“ und „Die Eingeborenen“ erschien. Aus den Reaktionen auf die beiden Bände entstand dann im Anschluss noch der dritte Band „Das Dickicht“. Genau nachlesen kann man die Geschichte des Buches beim Autor selbst.

Klappentext

Ein gewaltiges Dickicht umspannt den Äquator des Regenplaneten – von den Felsen tief unter dem aufgeweichten Boden bis in eisige, luftlose Höhe. Die Vilmer nennen es das Supergestrolch und manchmal das Nest der Regendrachen.

Sie tun, was sie mit allem auf Vilm tun: Sie arrangieren sich. Um so erstaunter sind sie, als plötzlich eine ganze Reihe seltsamer Touristen aus allen Winkeln der bewohnten Galaxis auftauchen und nur ein Ziel haben: das Dickicht.

Über den Autor

Karsten Kruschel wurde 1959 in Havelberg geboren. Er brach ein Studium der Pflanzenproduktion in Halle ab, war kurzzeitig pflegerische Hilfskraft in einer Nervenklinik in Magdeburg und studierte 1980-1984 Pädagogik an der PH dieser Stadt. Anschließend unterrichtete er in Leipzig-Grünau in Deutsch und Geschichte und absolvierte seinen Ehrendienst in der NVA; seit 1987 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der PH Leipzig.

So stand es 1989 noch im Klappentext zu Das kleinere Weltall. Mittlerweile ist ein Doktortitel hinzugekommen – Karsten Kruschel promovierte über die Science-Fiction-Literatur in der DDR.

Karsten Kruschel hat zwei Mal den Deutschen Science Fiction Preis und 2016 den Kurd-Laßwitz-Preis gewonnen.

Ein sehr gelungenes Interview mit Karsten Kruschel gibt es beim FantasyGuide.

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