Es ist mittlerweile eine schöne Tradition geworden, mich in der Weihnachtszeit mit einem Buch von Karsten Kruschel von unserer guten, alten Erde zu verabschieden und ins Universum aufzubrechen. In diesem Jahr hat mich Das Universum nach Landau gepackt – und es war wieder ein schöner Ausflug.
In sieben längeren Geschichten und einigen Einschüben treiben wir durch die Entwicklungsgeschichte der Menschheit, von einem Zeitpunkt kurz nach der Entwicklung der Landau-Modulatoren bis in eine weit, weit entfernte Zukunft, die schon fast an Asimovs fernste Utopien erinnert.
Bei Karsten Kruschel aber bleiben die Geschichten bodenständig, echt und fühlbar – so dicht setzt er seine Atmosphären, so lebhaft zeichnet er seine Charaktere. Und zwischendrin versteckt er Ostereier – etwas das Gibberellin in Grün: Im Sternzeichen des Rasenmähers – das seine literarische Vorlage unzweifelhaft im DDR-Sci-Fi-Klassiker „Unternehmen Marsgibberellin“ von Lother Weise hat.
Oder im Zwischenstück, bevor Rote Bonbons oder: Eskimos sind auch nur irgend so ein Feind losgeht: da schickt der Wissenschaftler Landau nämlich eine Mail an seine zahlreichen Mitforscher. Unter ihnen im Mail-Kopf geht auch eine Kopie an retrodenker@robotron.dd – und da musste ich schon sehr stark schmunzeln. Immerhin war Robotron der Name des Kombinats für Computertechnik in der DDR, die Top-Level-Domain „.dd“ war die Internet-Adresse, die für die DDR vorgesehen war und in der Praxis nicht mehr genutzt werden konnte, weil vorher die Mauer fiel.
Aber zurück zum Inhalt: Die roten Bonbons entführen uns in eine Geschichte der oktogonischen Kriege, die noch sehr dicht am Universum der Vorgängerbücher wie VILM oder Galdäa – Der ungeschlagene Krieg sind.
Violets Verlies spielt in einer ähnlichen Zeitebene und nimmt uns mit auf einen wasserbedeckten Planeten, der offenbar von einem riesigen Organismus gebildet wird (VILM lässt grüßen).
Das Ende der Jagdsaison auf Orange behandelt dann schon eine spätere Ära. Auf einem Waldplaneten geraten Jäger und Firma Matsushita, die den Planeten besitzt und daraus neue Rezepte und Patente generiert, aneinander. Und am Ende ändert sich nicht die Umwelt, sondern einer derjenigen, die der Umwelt ausgesetzt sind.
Exotisch wird es dann in Gelb wie Zwiebelgras, Jahre vor dem Frühlingsende: dort blicken wir durch die Brille eines nichtmenschlichen Planetenbewohners, der über Generationen und Jahrtuasende hinweg die Kolonisten begleitet und beobachtet – und steuernd eingreift. Und der uns zeigt, dass menschliche Maßstäbe im Universum höchst lächerlich sein können. Die gleiche Zuschauerperspektive habe ich auch schon mal bei Asimovs Der Zweihundertjährige eingenommen.
Anfangs dachte ich noch, dass wir in Weiss: Der Ausweg Blanche meine kräftigen, kälteresistenten karnesischen Kumpels besuchen, die wir schon aus dem anderen Geschichten von Karsten Kruschel kennen. Aber das wäre für ihn sicher zu langweilig gewesen, deswegen transportiert er das Kälteproblem von Karna auf einen neuen Himmelskörper, einen Minenplaneten, der plötzlich den Anschluss an den Rest des Universums verliert. Die Idee, Menschen mit Hilfe kleiner insektenartiger Wesen mit dem Netz kommunizieren zu lassen erinnert schon fast an die Dämonen Pullmans (Der goldene Kompass) – aber Kruschel wäre nicht Kruschel, wenn er seine Protagonisten nicht eine sehr exotische Variante der Problemlösung finden lassen würde.
Ans Ende der Zeit reisen wir in Schwarz:Netz:Schwarz. Eine teerartige Masse schickt sich an, den Planeten zu überrennen und alles Leben darauf zu vernichten. Es kommt aus den Dimensions-Portalen, mit denen man vorher zwischen den bekannten Welten verzugslos reisen konnte. Die klassische Raumfahrt hat diese Menschheit schon lange aufgegeben. Konfrontiert mit dem sicheren Tod aber sichern die drei Protagonisten ihr Bewusstsein elektronisch und schicken diese mit einer Kleinstrakete zu einem Zentralrechner auf einem Mond, der vom Teer wahrscheinlich nicht erreicht werden wird. Gilt das als Überleben? Und überhaupt? Werden die Bewusstsein-Daten je wieder in einen menschlichen Körper übertragen? Und was passiert mit den Protagonisten?
Fazit
Fragen über Fragen wirft Karsten Kruschel auf. Da mein letzter Besuch im Vilm-Universum schon wieder lange her ist, habe ich mich sehr gefreut, mal wieder hereinschneien zu können. Die Bandbreite der Geschichten ist sehr weit gesteckt – ich hätte mich dieses Mal aber wahrscheinlich doch wieder mehr über eine monothematischere Geschichtensammlung gefreut.
Über das Buch Das Universum nach Landau
Unter der ISBN 9783955560935 ist 2016 Das Universum nach Landau bei Wurdack zum Preis von 12,95 Euro als Paperback erschienen. Karten Kruschel nimmt sich für seine sieben Geschichten und Einsprengsel 276 Seiten Zeit, die nicht langweilig werden.
Das Universum nach Landau im Netz
Der Fantasy-Guide geht mit dem Buch hart ins Gericht. Hier, hier und hier gibt es weitere Rezensionen. Die schönste und tiefgehendste stammt aber (wieder) aus der Feder von Wolfgang Kucher. Die empfehle ich auch dringend zu lesen.
Das Universum nach Landau – Karsten Kruschel
Galdäa – Der ungeschlagene Krieg – Karsten Kruschel
Karsten Kruschel – Vilm – Das Dickicht – Teil 3
Karsten Kruschel – Vilm – Die Eingeborenen – Teil 2
Karsten Kruschel – Vilm – Der Regenplanet – Teil 1
Karsten Kruschel – Das kleinere Weltall
Über den Autor Karsten Kruschel
Karsten Kruschel wurde 1959 in Havelberg geboren. Er brach ein Studium der Pflanzenproduktion in Halle ab, war kurzzeitig pflegerische Hilfskraft in einer Nervenklinik in Magdeburg und studierte 1980-1984 Pädagogik an der PH dieser Stadt. Anschließend unterrichtete er in Leipzig-Grünau in Deutsch und Geschichte und absolvierte seinen Ehrendienst in der NVA; seit 1987 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der PH Leipzig.
So stand es 1989 noch in seinem Klappentext. Mittlerweile ist ein Doktortitel hinzugekommen – Karsten Kruschel promovierte über die Science-Fiction-Literatur in der DDR.
Karsten Kruschel hat zwei Mal den Deutschen Science Fiction Preis und 2016 den Kurd-Laßwitz-Preis gewonnen.