Galdäa - Der ungeschlagene Krieg - Karsten Kruschel - Buchcover - Illustration: Przemyslaw Rubaj

Galdäa – Der ungeschlagene Krieg – Karsten Kruschel

Lange habe ich mich auf dieses Buch gefreut – und jetzt in der Weihnachtszeit lasse ich es mir auf der Zunge zergehen. Galdäa – Der ungeschlagene Krieg von Karsten Kruschel ist ein Buch wie ein Rockalbum.

Da sind die sanften Passagen, die einen einhüllen und als Passagier mit auf die fernen Welten des VILM-Universums nehmen. Stellenweise kommt da eine Wohlfühl-Atmosphäre auf, die ich zuletzt bei Becky Chambers’ Der lange Weg zu einem kleinen, zornigen Planeten erlebt habe.

Dann sind da die harten, spannenden Kampf- und Schlachtszenen. Menschen (in all ihren genetischen Ausprägungen) werden atomisiert. Es gibt Sex-Szenen, Hass, tiefe Liebe.

Und dann ist da dieser eine Song namens 19. Tasso Sanderstorm – Brunnen, der ums Verrecken erstmal nicht ins Album passen will. Aber von vorn:

Karsten Kruschel nimmt uns in Galdäa – der ungeschlagene Krieg wieder mit in das Universum, dass er schon seit den späten 1980er Jahren schriftstellerisch bereist. Damals durfte der Leser Das kleinere Weltall bereisen – sechs Kurzgeschichten, die quasi die Grundlagen der heutigen Romane des fantasiereichen Schriftstellers umrissen haben.

Zwei der Kurzgeschichten aus dieser Sammlung finden sogar den direkten (wenn auch überarbeiteten) Weg in den Roman: Einmal lernen wir Michael Sanderstorm kennen. Der Student, der an den Folgen eines Unfalles herumlaboriert, soll in einer Abschlussarbeit die Geschichte des galdäischen Krieges beschreiben. Er wird zu einem der drei Hauptcharaktere des Romanes. Sein Bruder Tasso, der als Pilot auf einer Weltraummission verschollen ist, taucht in der zweiten „übernommenen“ Kurzgeschichte auf – und sie ist es auch, die aus dem relativ stringenten Erzählfaden des Buches heraussticht.

Ist das Kapitel ein Alptraum? Ein tatsächlicher Trip in eine künstliche Welt innerhalb des kleineren Weltalls? Oder sind die Schöpfer der Raumfalte, die Tassos Raumschiff verschluckt hat, vielleicht gar die Schöpfer von Galdäa?

Das Protagonisten-Trio: Michael Sanderstorm, Jana Hakon und Markus Hataka

Wenn ich aber von einem Protagonisten-Trio spreche, dann lernen wir daneben auch Markus Hataka kennen, einen Musiker vom Universitätsplaneten Penta V. Er hat im galdäischen Krieg seinen Lebensgefährten Karolus verloren und verliert danach die Kontrolle über sein Leben. Aus der beinahe selbstzerstörerischen Drogenhölle rettet ihn ausgerechnet Jana Hakon – eine Galdani.

Sie ist die dritte im Bunde der Hauptcharaktere. Nach einer geglückten Flucht aus dem Photek-Institut auf Penta IV flüchtet sie – unterstützt von einer ehemaligen Auswahl-Soldatin (geheime Elite-Truppe von Atibon Legba) und macht sich auf die Suche nach Markus.

Ja – und genau so verwirrend, wie sich das alles liest, ist das auch. Aber nicht auf diese unangenehme Art – sondern eher so, wie wenn du dich nach vielen Jahren, in denen du nicht geflogen bist, wieder in den Pilotensitz eines Flugzeuges fallen lässt und mit einem genüsslichen Grinsen im Gesicht feststellst, dass alles noch dort ist, wo du es zuletzt gesehen hast. Dabei ist Galdäa kein Buch, dass man einfach mal so nebenbei liest. Es ist bockig wie ein junger Mustang, es schlägt Haken und verlangt dem Leser auch intellektuell einiges ab. Das mag ich so an den Werken von Karsten Kruschel: wenn Intelligenz auf Phantasie trifft, mit Atmosphäre gewürzt und das ganze noch schriftstellerisch sauber auf dem Papier landet – dann bin ich zuhause im kleineren Weltall.

Den gleichen Effekt durfte ich bereits bei der Vilm-Trilogie kennenlernen. Man kehrt heim. Und obwohl die Charaktere alle neu sind (im Vergleich zu den Vilm-Romanen), so gibt es doch eine Wiedersehensfreude mit den Charakteren aus Das kleinere Weltall.

In der groben Rahmenhandlung habe ich immer wieder Parallelen gefunden zur irdischen Kolonialisierungszeit. Die ging aber im Kruschel-Universum just auf Galdäa furchtbar schief: die Bewohner des Planeten erweisen sich nämlich als überaus lernfähig. Und da sie über sieben Terminals Zugang zum gesamten Wissen der Menschheit haben, starten die Galdäer in phänomenal kurzer Zeit von einer feudalistischen Gesellschaftsform wie eine Rakete durch – und mitten in eine extrem hässliche interstellare Auseinandersetzung hinein. Danach folgt – wie bei so vielen postkolonialen Konflikten – Schweigen. Ein langes Schweigen. Michael Sanderstorm schickt sich an, es zu lüften.

Der Autor selbst hat mal beschrieben, dass er das Buch mit der Musik der Pixies im Hinterkopf geschrieben hat. Und tatsächlich finden sich sogar Lyrics-Zitate großzügig über das Buch verteilt wieder. Ich selbst habe beim Lesen etwas anderes gehört: Cellotronics etwa, ein experimentelles Cello-Album von Kristoff Becker, den ich in Berlin mal kennenlernen durfte. Das passt wunderbar zur Atmosphäre auf der Weltenkreuzer-Werft (kurz bevor alles dort in die Luft fliegt).

Und während einige Autoren schamlos abschreiben, freue ich mich, wenn Karsten Kruschel in einigen Passagen in mir Erinnerungen an andere wunderbare Bücher weckt. Becky Chambers habe ich bereits oben erwähnt – aber ohne Spoiler-Alarm auslösen zu wollen: in welchem weltbekannten Science Fiction-Epos spielt das Finale in einer atemberaubenden und spannenden Orbitalschlacht? Und ein Raumschiff, dass eine künstliche Intelligenz besitzt – und streckenweise total nervig sein kann, das klingt doch fast ein wenig wie die Herz aus Gold aus Douglas Adams’ Per Anhalter durch die Galaxis.

Was mich am meisten an Galdäa – Der ungeschlagene Krieg fasziniert, ist der rote Faden der multiplen Persönlichkeiten, der sich durch die rund 445 Seiten zieht.

Allen voran ist da natürlich Jana, die eigentlich aus sechs unterschiedlichen Individuen besteht: vier davon sind galdäischer Abstammung, Jana und Veruca Salt bilden sich im Laufe der Zeit heraus. Und auch, wenn das ein eher exotisches, weil kompliziertes Konzept in der Literatur ist: da gibt es zum Beispiel ihren Kurzzeit-Geliebten Mikko, der aus dem Macho, dem Anführer, dem Liebhaber und vielen anderen Wesensarten besteht und sie zu Beginn des Buches beinahe vergewaltigt. Markus Hataka ist ebenso unvollständig wie künstlich: seine Drogensucht wurde von der Galdani geheilt – oder ersetzt, je nach Perspektive. Später bekommt er, der große Künstler, einen extrem genauen Rechnerverbund implantiert, der bis zur Grenze der Hellseherei Chancen und Risiken auszuwerten in der Lage ist.

Bonni, die Söldnerin, hat mechanische Stimmbänder. Und auch Michael ist nicht vollständig: gesundheitlich ist er laufend auf Schmerzmittel angewiesen, emotional ist er mit dem Verlust seines Bruders Tasso unvollständig geworden. Damit gehe ich auch schon in den Endspurt dieser Rezension: denn ob die großen Wunden der Individuen heilen, erfahren wir ebenso wie die Geschichte der Galdäa erst auf den letzten Seiten. Ich verspreche, dass es sich lohnt, bis dort am Ball zu bleiben.

Leseprobe

Die Sägezähne des Schicksals, die an tausend Lebensfäden nagen? Er fühlte sich, als würde er nie wieder im Leben eine Taste drücken können. Die Schüssel in seiner Hand wurde zu schwer und begann zu zittern. Er musterte sie nachdenklich und bemerkte erst da, dass das Zeug heiß war und ihn verbrennen würde. Fluchend kehrte er in seine Wohnung zurück und stellte das Essen ab, wedelte mit der Hand herum, um sie abzukühlen. Er trank einen langen Schluck von dem falschen Orangensaft. Jana schwieg, seit sie das Geld genommen hatte, und es surrte und zerrte immer mehr in seinem Inneren. Er saugte an den Fingern, die zu warm geworden waren. Die Galdani hatte sich nicht wieder gemeldet. Er schnupperte an der fremden Speise, die Eveline Chilli genannt hatte, und nahm sich vor, später nachzuschlagen, was zum Teufel das sein mochte. Markus holte einen Löffel und sann darüber nach, wie Jana wohl nach Nummer 42 gekommen war und was sie davon abhalten könnte, ihn anzurufen oder eine Nachricht zu schicken.
Markus japste. Das Chili war scharf. Es brannte auf der Zunge und in der Kehle, und ihm traten Tränen in die Augen. Wie zum Trotz nahm er weitere zwei Löffel voll und kaute tapfer. Hinter all der Schärfe lauerte ein guter, fester Geschmack. Eveline war wie immer eine phänomenale Köchin. Selbst wenn sich, wie in diesem Fall, der Genuss hinter einer stachligen Wand aus beißendem Habanero-Chili verbarg. (…) Nummer 42 war ein lausiges Kaff. Bestimmt gab es da kein Chili.

Fazit

Nach der Vilm-Trilogie legt Karsten Kruschel mit Galdäa – Der ungeschlagene Krieg einen Roman vor, der deutlich stringenter erzählt wird und weniger als Kurzgeschichtensammlung ins Auge fällt. Atmosphärisch dicht, spannend geschrieben und den Leser fordernd legt man das handliche Paperback entweder nach den ersten Seiten aus der Hand – oder erst nach spannende Stunden, die sich definitiv lohnen.

Über das Buch Galdäa – Der ungeschlagene Krieg

Galdäa - Der ungeschlagene Krieg - Karsten Kruschel - Buchcover - Illustration: Przemyslaw Rubaj
Galdäa – Der ungeschlagene Krieg – Karsten Kruschel – Buchcover – Illustration: Przemyslaw Rubaj

Unter der ISBN9783938065723 ist Galdäa – Der ungeschlagene Krieg 2011 im Wurdack-Verlag erschienen. Der Roman wurde 2012 ausgezeichnet mit dem Deutschen Science Fiction Preis (Laudatio: Stefan Kuhn) und war nominiert für den Kurd-Laßwitz-Preis (2. Platz).

Der stabile Pappdeckel ist gut mit dem Buchblock verleimt, so dass auch nach dem Lesen des Paperbacks keine Knicke am Rücken entstehen. Das Cover steuert der polnische Freelancer Przemyslaw Rubaj bei.

Erhältlich ist es natürlich auf der Webseite des Verlages als Paperback für 14,95 Euro und als E-Book für 8,99 Euro.

Klappentext

„Wir wollen diesen Krieg beenden. Das kann nur auf zwei Weisen geschehen. Entweder durch die völlige Harmonie der Beteiligten oder die totale Vernichtung einer der Parteien.“

– Tara SKhanayilhkdha Vuvlel TArastoydt, galdäische Konsulin auf Penta V

Dabei behauptet die offizielle Geschichtsschreibung, die Sicherheit sei schon vor Jahrzehnten wieder hergestellt worden. Allerdings geraten die Dinge in Bewegung, als ein Datenchaos die offiziellen Stellen lahmlegt und Michael Sanderstorm einer unglaublichen Verschwörung auf die Spur kommt.
„Vielleicht ist die Einmischung der Goldenen Bruderschaft ein Akt der Verzweiflung und die die Maden wollen damit nur ihre Pfründe erhalten? Wie gewaltig ist eigentlich das Wespennest, in das wir da gestochen haben?“
Eine schwielige Hand packte seinen Nacken und schob ihn zu seinen Instrumenten und Rechnern hinüber. Eine leidenschaftslose, unbarmherzige Melodie, Verzweiflung und Sehnsucht, süß und scharf, unwiderstehlich, wenn jemand sie spielt, der am Rand eines glassplittergespickten Abgrunds steht.
Nach den Romanen “Vilm – Der Regenplanet” und “Vilm – Die Eingeborenen”, die beide mit dem Deutschen Science Fiction Preis 2010 ausgezeichnet wurden, fügt Karsten Kruschel seinem faszinierenden VILM-Universum ein neues, spannendes Kapitel hinzu.

Galdäa – Der ungeschlagene Krieg im Internet

Bei Fiction Fantasy gibt es eine Rezension des Buches. Bei Würfelheld gibt es ein lesenswertes Interview mit Karsten Kruschel zum Nachlesen. Stefan Schulz guckt auch genauer in das Buch, und auch beim SF-Dinosaurier sind einige Zeilen zu Galdäa zu finden. Auf der Webseite des Autors gibt es noch zusätzlich einige Pressestimmen zum Buch. Jol Rosenberg schildert das Buch in ihrer Rezension sehr sympathisch.

Über den Autor Karsten Kruschel

Karsten Kruschel wurde 1959 in Havelberg geboren. Er brach ein Studium der Pflanzenproduktion in Halle ab, war kurzzeitig pflegerische Hilfskraft in einer Nervenklinik in Magdeburg und studierte 1980-1984 Pädagogik an der PH dieser Stadt. Anschließend unterrichtete er in Leipzig-Grünau in Deutsch und Geschichte und absolvierte seinen Ehrendienst in der NVA; seit 1987 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der PH Leipzig.

So stand es 1989 noch in seinem Klappentext. Mittlerweile ist ein Doktortitel hinzugekommen – Karsten Kruschel promovierte über die Science-Fiction-Literatur in der DDR.

Karsten Kruschel hat zwei Mal den Deutschen Science Fiction Preis und 2016 den Kurd-Laßwitz-Preis gewonnen.

5 Kommentare

  1. Das neue Jahr beginnt für mich mit der Lektüre deines Beitrages zu “Galdäa” ja schon wieder ausgezeichnet. Wie immer eine Freude auf deinem BLOG all die Infos zu lesen, welche du zusammengetragen hast. Die Lektüre des Paperbacks liegt bei mir schon einige Zeit zurück, aber auch ich habe es verschlungen und in sehr positiver Erinnerung.
    Ich habe mir erlaubt aus meinem BLOG-Beitrag auf den deinen zu verweisen, um Interessenten einen weiteren Blickpunkt zu eröffnen.
    lG
    Wolfgang

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