Nach zahlreichen Büchern mit zeitgenössischer Science Fiction hat mich Georgi Martynow mit 220 Tage im Weltraumschiffmitgenommen in einen klassischen sowjetischen Roman derPrä-Astronautik. Zusammen mit drei anderen Kosmonauten erkundet Kommandant Kamow in seinem Raumschiff nicht nur den Planeten Mars, sondern auf seiner Reise dahin auch die Venus.
Aber von vorn: In einem unbestimmten Jahr des 20. Jahrhunderts macht sich in der Sowjetunion der Wissenschaftler Kamow mit zwei weiteren Kollegen auf, den Weltraum zu erforschen. Von einer Reise zum Mond ist er da gerade zurückgekehrt. Der vierte Kosmonaut im Bunde ist ausgefallen. Daraufhin steht die Entscheidung schnell fest: wir nehmen einen Journalisten mit. Wenn es doch mal immer nur so einfach wäre. Anhang der Tagebuchaufzeichnungen dieses Herrn Melnikow und eines allwissenden Beobachters begleiten wir die Startvorbereitungen für einen Raumflug entlang der Trajektorie des atomgetriebenen Raumschiffs UdSSR-LS2, die erst zur Venus und daraufhin zum Mars führt.
Doch was wäre ein prä-astronautischer Sci-Fi-Roman ohne Wettlauf ins All? Zeitgleich macht sich in den USA der Wissenschaftler Hapgood bereit, zum Mars zu fliegen, nachdem er erfährt, dass die Sowjets unterwegs sind. Um abzukürzen, erwägt er einen Schnellstart mit stärkerer, lebensbedrohlicher Beschleunigung. Als Begleiter erwählt er sich ebenfalls einen Journalisten.
Die Reise zur Venus bleibt unspektakulär für die Sowjets. Auf dem Planeten angekommen finden sie Pflanzen, ein gewaltiges Ur-Meer und Gewitter vor: eine Art Ur-Erde, die irgendwann tierisches Leben hervorbringen wird.
Weiter geht es daraufhin zum Mars. Die Erdbahn wird am Jahrestag der Oktoberrevolution gekreuzt, ein Asteroid fliegt vorbei. Die gruppendynamischen Prozesse an Bord halten sich in sehr engen Grenzen. Pünktlich wie die (alte) deutsche Bahn setzen die Kosmonauten auf dem Roten Planeten auf. Inmitten von graublauen Pflanzen und hasenähnlichen Tieren warten die Sowjets auf den Anbruch des Tages, bevor man aus dem Raumschiff steigt.
Unterdessen macht sich US-Forscher Hapgood mit seinem Kompagnon auf den Weg. Beim Versuch, vor den sowjetischen Kosmonauten Fuß auf den Planeten zu setzen werden sämtliche Sicherheitsvorkehrungen außer Kraft gesetzt. Direkt nach dem Aufsetzen bei Nacht wollen beide den Rekord für sich gewinnen und steigen aus. Prompt kommt es zur Katastrophe. Kamow wird von schlangenähnlichem Wesen getötet. Das nimmt den beiden Amerikanern aber ein Problem ab. Da der Journalist anstelle des zwölften Sauerstofftanks einen Tank voller Schnaps an Bord geschmuggelt hat, hätte der Sauerstoff nicht für die Rückkehr beider Astronauten gereicht. Hapgood wollte daher den Journalisten auf dem Mars zurücklassen. Der hingegen wollte sich mit einer versteckten Pistole ein Ticket für den Heimflug erzwingen.
Als die Sowjets den Planeten mit ihrem Jeep erkunden, finden sie die amerikanische Expedition. Der US-Journalist will sich seinen Rückflug mit einem Mord erzwingen und wird überwältigt.
Kurz vor dem Rückflug zur Erde gerät Kommandant Kamow in eine lebensbedrohliche Situation. Seine Kameraden müssen das Raumschiff ohne ihn starten. Wie bei Andy Weir und seinem Roman „Der Marsianer“ verfolgt der Leser atemlos, ob sich Kamow aus der misslichen Lage befreien kann oder in den Tiefen des Alls sterben muss.
Fazit
Leider muss ich sagen, dass 220 Tage im Weltraumschiff literarische Dutzendware der 1950er Jahre ist. Der Ost-West-Konflikt wird wenig weltanschaulich aufgebaut, sondern eher wissenschaftlich-sportlich. Auch ein verkommenes Subjekt wie der amerikanische Journalist ändern daran eigentlich nichts. Ansonsten bleibt der Spannungsbogen relativ vorhersagbar, erst am Schluss kommt noch mal Hektik auf.
Über das Buch 220 Tage im Weltraumschiff
Die sowjetische Originalausgabe erschien 1955 unter dem Titel „220 дней на звездолёте“ aus der Feder von Georgi Sergejewitsch Martynow (Георгий Сергеевич Мартынов). 1957 erschien dann die deutsche Übersetzung von Erich Ahrndt im Verlag Kultur und Fortschritt Berlin als 266 Seiten starke Leinenausgabe mit Lesebändchen.
220 Tage im Weltraumschiff im Internet
Andreas Reber hat bei Life in the 22nd Century eine sehr lesenswerte Rezension des Buches hinterlassen. Matthias Käther schreibt im Zauberspiegel über die Venus-Trilogie. Alfred Kruse hat im SF-Dinosaurier das Buch komplett verrissen. Den Gesamttext des Buches findet man im Netz auch in deutscher Übersetzung. Ob das so legal ist? Ein dritter Teil der Venus-Trilogie wurde nach der Wende neu aufgelegt.
Über den Autor Georgi Martynow
Georgi Sergejewitsch Martynow wurde 1906 geboren. Nach einem beruflichen Start beim Militär, der durch einen Unfall beendet wurde, widmete sich Martynow einer technischen Laufbahn in Leningrad. Kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges trat er in die Kommunistische Partei ein und begann zu studieren. Im Großen Vaterländischen Krieg kämpfte er als Soldat und wurde mit dem Orden Roter Stern ausgezeichnet. Seinen ersten Roman „220 Tage im Weltraumschiff“ veröffentlichte er 1955. Danach folgten weitere literarische Arbeiten (u.a. Das Erbe der Phaetonen), die teilweise ins Deutsche übersetzt wurden. Martynow starb am 26. Oktober 1983.
Sehr gutes Review. Georgi Martynow ist mein absoluter Lieblingsautor! 🙂