Messeabenteuer 1999 - Werner Bender - Illustration: Erich Schmitt

Werner Bender – Messeabenteuer 1999

Aus der Perspektive von 1956 erzählt Werner Bender in Messeabenteuer 1999 eine kindgerechte Utopie, die vor und aus heutiger Sicht Retrofuturismus nur so strotzt.

Dabei ist in meinem Leseplan sogar eine ungewollte Brücke entstanden: Die Unsichtbaren von Günther Krupkat blickt ein Jahr später ebenfalls an den Rand des Jahrhunderts. Und beide wurden von der DEFA verfilmt.

Jetzt aber wieder zurück zu Messeabenteuer 1999. Die ist schnell erzählt: Zwei Jungs – Franz und Egon – wollen die Leipziger Messe besuchen, die mittlerweile eine Weltmesse geworden ist. Dabei geraten sie an zwei sonderbare Gestalten.

Messeabenteuer 1999 - Werner Bender - Illustration: Erich Schmitt
Messeabenteuer 1999 – Werner Bender – Illustration: Erich Schmitt

Daniel Blasius und Nathaniel Radius haben ungewöhnliche Talente: sie haben keine Schrecksekunde, spielen Simultan-Schach gegen die Weltelite, schlagen einen Hundertmeter-Rekordläufer, spielen wie der Teufel am Piano und sprechen die ausgefallensten Sprachen fließend. Nur mit den menschlichen Umgangsformen und emotionalen Reaktionen, die ist irgendetwas seltsam – und das weckt den Entdeckergeist der Jungs. Im Stile einer schönen, spannenden und bisweilen hektischen Detektivgeschichte gehen sie der Sache auf den Grund. Und am Ende findet sich des Pudels Kern in der Tatsache, dass Blasius und Radius sind (im Buch noch brav Automaten genannt. Und auch das Wort kommt weder wörtlich noch im Wortsinn vor).

Freche, bunte und lebendige Sprache

Werner Bender benutzt im Buch eine wunderbar zu lesende Sprache. Sie ist nicht nur frech, sondern bunt und lebendig. Da machen die tollsten Utopien gleich doppelt Spaß, zu lesen: wenn der Vater von Egon seinen Dienst als Wetterbeeinflusser antritt etwa. Oder der Übersetzungsautomat in Aktion geprüft werden soll, der Polymetsch heißt. Richtig gelesen: Polymetsch. Also Viel-Dolmetscher. Google Translate konnte vor 62 Jahren schon erahnt werden. 😉

Messeabenteuer 1999 - Werner Bender - Illustration: Erich Schmitt
Messeabenteuer 1999 – Werner Bender – Illustration: Erich Schmitt

Ein zweiter, schöner Aspekt des Buches ist, dass in dem Büchlein noch in schöner Selbstverständlichkeit der eine der beiden Freunde ein Münchner ist – und mit dem „Fliegenden Leipziger“, einem vollautomatisierten Schnellzug, in dreieinhalb Stunden von München nach Leipzig reist. Wenigstens in dieser Hinsicht hat die Realität das Buch ja mittlerweile eingeholt. In diesem Zug beginnt der ganze Schlamassel auch – und zwar mit einer Notbremsung.

Aber, wer die ganze Geschichte lesen möchte, sollte sich im antiquarischen Buchhandel umsehen – oder einfach dem Rat des Vorwortes folgen:
„Mit Recht könnte der Leser argwöhnen, die Geschichte habe durch Umarbeitung an Güte und Wahrscheinlichkeit verloren. In diesem Falle sei es ihm geraten, sich die Ausgaben der „Leipziger Volkszeitung“ bis einschließlich 1. April 1999 selbst zu besorgen“

Über das Buch Messeabenteuer 1999

Messeabenteuer 1999 ist als Band 15 der Reihe Robinsons Billige Bücher im Kinderbuchverlag Berlin erschienen. Das stimmt sogar: das Hardcover-Büchlein mit 186 Seiten kostete zwei Mark. Der Verlag empfiehlt es für Kinder von 10 Jahren an.

Messeabenteuer 1999 - Werner Bender - Illustration: Erich Schmitt
Messeabenteuer 1999 – Werner Bender – Illustration: Erich Schmitt

Das Büchlein wurde beim Preisausschreiben für Kinder- und Jugendliteratur 1956 mit einem Preis des Ministeriums für Kultur ausgezeichnet.

Die Illustrationen zum Buch steuert Erich Schmitt bei, den wir schon aus Ein Planet wird gesucht kennen.

Harald Stein hat sich in seinem Wortblende-Weblog intensiv mit der Leseerfahrung des Buches, das er aus seiner Jugend kannte, auseinandergesetzt.

Klappentext:

Ein interessantes Gemisch von Reisenden benutzt den „Fliegenden Leipziger“ zur Weltmesse 1999. Auf dieser Fahrt lernt Franz – ein 13jähriger Junge aus München – Herrn Blasius kennen. Das Benehmen dieses Herrn ist ein bißchen komisch, und Franz glaubt, daß er von einem anderen Stern sei. Nach manchen abenteuerlichen Erlebnissen mit seinem Freund Pepp in Leipzig merkt Franz schließlich, was mit Herrn Blasius los ist. Er ist ein Messeulk, ins Leben gesetzt von einer Automatenfirma. Das ganze ist eine vergnügliche Zukunftsgeschichte.

Das Buch Messeabenteuer 1999 ist die Vorlage für den 1975 von der DEFA produzierten Kinderfilm unter dem Titel Abenteuer mit Blasius.

Über den Autor Werner Bender

Da man sonst im Netz nichts findet, will ich mal wieder „Die Science-fiction der und Werke“ von Simon und Spittel bemühen. Demnach wurde Werner Bender 1928 im sächsischen Mittweida geboren, schloss ein Studium der Naturwissenschaften nicht ab und landete danach in der journalistischen Branche (kenne ich irgendwoher). Von 1949 bis 1952 war er bei Rundfunk und Presse, danach freischaffend tätig. , Hörspiel, Kurzfilm – er tobt sich richtig aus. Neben dem Messeabenteuer 1999 hat Bender das Science-Fiction-Hörspiel „Die Erfindung, die alles erfindet“ im Jahr 1972 verfasst. Leider finde ich dieses nicht im Netz.

Werner Bender, Foto: Klaus Morgenstern (Berlin), aus „Die Science-fiction der DDR - Autoren und Werke“ von Simon und Spittel
Werner Bender, Foto: Klaus Morgenstern (Berlin), aus „Die Science-fiction der DDR – Autoren und Werke“ von Simon und Spittel

Ein Kommentar

  1. Nicht nur beim „Fliegenden Leipziger“, der den heutigen ICE sogar in der Fahrzeit überraschend präzise vorhersah, traf Benders Fiktion die echte Zukunft überraschend gut. So bezahlten die Jungs alle Einkäufe mit einer Einheitswährung, die allerdings nicht Euro, sondern ganz im DDR-Duktus „Valuta“ heißt. An anderer Stelle ist von der „Verkehrsmittelsucht“ die Rede – einer Zivilisationskrankheit, die den Betroffenen jeden erdenklichen Meter motorisiert herumfahren lässt. Die-Roller lassen grüßen. Und dann erinnere ich mich noch an eine Stelle, an der Werner Bender beschreibt, dass es im sozialen Miteinander der Zukunft nur noch zwei Umgangsformen gibt, nämlich die Grobheit und die Überhöflichkeit. Aus dem Gedächtnis zitiert: „… wobei die Überhöflichkeit auch nur eine Form der Grobheit ist.“ Wie recht er doch hatte …

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