Worüber man durch Zufall im Internet doch alles stolpert: Die Stadt im All von Curt (oder Kurt) Siodmak ist jedenfalls ein lesenswerter Ausflug in die nähere Zukunft der Erde und ihrer Raumfahrt – aus der Perspektive der frühen 1970er Jahre. Und sie nimmt einige interessante technische Entwicklungen vorweg.
In einem Orbit einige hundert Kilometer über der Erdoberfläche kreist ein künstlicher Satellit den Mutterplaneten. Ursprünglich als Weltraumlabor angelegt, diente er vor allem als „Bauhütte“ für den Bau der ISS – der Internationalen Stadt im All. Nach deren Vollendung – mittlerweile leben tausende Menschen an Bord des großen, künstlichen Mondes, hat die ursprüngliche Raumstation aber nicht ausgedient.
Die Staatsregierungen der Welt nutzen die 60 Menschen tragende EInrichtung als Hochsicherheitsgefängnis, in das Hochverräter, Putschisten und andere Staatsfeinde auf Lebenszeit deportiert werden. Kündigt sich ein Neuzugang an, muss einer der angestammten Insassen sterben.
Da reift mit einem neuen Insassen des Astro-Knastes die Idee, sich aus der misslichen Lage zu befreien. Mit einem Handstreich wollen die ISS-Insassen die Raumstation und ihre Bewohner als Geiseln nehmen. Als Faustpfand haben sie eine Handvoll Getreuer, die weiterhin freiwillig den Gefängnis-Satelliten bewohnen und drohen, mit einer kontrollierten Sprengung ihrer außerirdischen Heimstatt den erdnahen Orbit zu verseuchen und für Jahre unbrauchbar zu machen. Werden sie es schaffen, den Weltregierungen und dem Konzern, der die Stadt im All betreibt, ihren Willen aufzuzwingen?
Interessant sind neben den thrillerhaften Plot, der fast verwandt mit Andreas Eschbachs Solarstation ist, vor allem die technischen Entwicklungen, die Siodmak beschreibt. So werden etwa Raumfahrzeuge nicht mehr von chemischen Antrieben ins All gebracht, sondern mit Hilfe einer elektromagnetischen Railgun, wie sie derzeit als Katapultanlage auf dem modernsten amerikanischen Flugzeugträger erprobt wird. Auch der automatisch geführte Flug zur ISS dürfte Anfang der 1970er Jahre noch nicht zum Alltag der bemannten Raumfahrt gehört haben. Aber auch außerhalb der Raumfahrt gibt es Entwicklungen, die Siodmak beschreibt: So wurden etwa den Insassen des Gefängnis-Satelliten Implantate eingepflanzt, die in etwa die Wirkungsweise einer heute üblichen „elektronischen Fußfessel“ haben.
Fazit
Prima Geschichte, kurzweilig erzählt und auch mit ein wenig Sex zum Crime aufgelockert. Erstaunlich und ein wenig ablenkend wirkt die durchgehende Nutzung des Präsens als Erzählzeitform.
Über das Buch Die Stadt im All
Der Münchener Heyne-Verlag hat die mir vorliegende Ausgabe durch Dr. Herbert W. Franke und Wolfgang Jeschke redigieren und herausgeben lassen. Auf 190 Seiten in dem kleinen Paperback-Bändchen ist das Buch 1976 zum Preis von 3.80 DM auf den Markt gebracht worden. Das Original erschien 1974 als City In The Sky in New York.
Über den Autor Curt Siodmak
Stephen King hielt viel von Curt Siodmak. In „Danse macabre“ lässt er sich vor allem über Donovans Gehirn aus: „Siodmak ist ein gründlicher Denker und ein akzeptabler Schriftsteller. Es ist ebenso aufregend, dem Strom seiner spekulativen Einfälle zu folgen wie dem Ideenfluss eines Romans von Isaak Asimov oder Arthur C. Clarke oder meinem Lieblingsautor in diesem Genre, dem verstorbenen John Wyndham. Aber keiner dieser geschätzten Herrschaften hat je einen Roman wie Donovans Gehirn geschrieben – tatsächlich hat das sonst keiner geschafft.“
Curt Siodmak wurde am 10. August 1902 in Dresden geboren – und hieß da noch Kurt. Sein Vater war nach Amerika ausgewandert, als US-Bürger zurückgekehrt und hatte sich 1899 in Deutschland niedergelassen. Ein Jahr später wurde Curts älterer Bruder Robert geboren. Er studierte Physik, Mathematik und Ingenieurwissenschaften, war aber nebenher schreibend tätig. In Fritz Langs Metropolis spielt er als Statist mit. Ein Jahr vor der Machtübernahme der Nazis in Deutschland wurde sein Science Fiction-Roman F.P.1 antwortet nicht verfilmt. In den Hauptrollen: Hans Albers, Peter Lorre und Sybille Schmitz. Über England (dort schrieb er das Drehbuch zu Nernhard Kellermanns Der Tunnel) floh er in die USA. Dort machte er – so, wie sein Bruder – Karriere in der kalifornischen Filmwelt.
Die New York Times widmete Siodmak einen Nachruf, als er im Alter von 98 Jahren am 2. September 2000 in Three Rivers, Kalifornien, starb.