Ein strahlendes Ende - François Bucher - Buchcover

Ein strahlendes Ende – François Bucher

Eine melancholische hat François Bucher abgeliefert mit seinem Ein strahlendes Ende. Keine klassische a la Die letzten Kinder von Schewenborn – aber in der Wucht der Zerstörung der Welt auch keine reine Beziehungsliteratur.

Ein strahlendes Ende beginnt direkt mit dem Ende: „Um 16 Uhr 20 sind sechsundzwanzig Raketen und Marschflugkörper gestartet worden, sie steuern Ziele in der Sowjetunion an“ lautet die Meldung des Kommandanten des Atom-U-Bootes Corpus Christi schon auf dem Klappentext zum Buch. Wenige Stunden später sind Millionen Menschen tot und wir auf dem Weg in die vermeintliche Sicherheit von Endzeitbunkern mit drei Gruppen von Menschen: Christopher und Grace mit ihrem gemeinsamen Baby Francis flüchten sich in einen Tornado-Schutzraum. Donald und Dora retten sich mit ihrer erwachsenen Tochter Dee in das Zyklotron der Universität von Princeton. Und die homosexuelle Christine Sanders rettet sich an der Küste des Golfs von Mexiko in ein verlassenes Fort – und nimmt dabei den farbigen 16-jährigen Sebastian mit sich.

Dann springen wir zurück in der Zeit, begleiten diese Menschen mit ihren unterschiedlichen Lebensentwürfen teilweise über Jahrzehnte hinweg auf dem Weg nach 1986, dem Jahr des Atomkriegs. Der Professor Christopher, der wahrscheinlich einige autobiogrpahische Züge des Autors trägt, trifft auf die wesentlich jüngere Grace. Beide versuchen, eine romantisch überhöhte Beziehung zusammenzufantasieren – bis Grace schwanger wird und damit auf dem harten Boden der Realtität aufknallt. Sie verlässt ihren Geliebten für einen anderen und nimmt ihm damit nicht nur den Sohn, sondern auch die philosophische Grundlage seines Lebens. Zufällig ist sie gerade in der Nähe, als die Raketen in Marsch gesetzt werden – und das frisch getrennte Paar muss zusammen mit dem Baby in den Atomschutzbunker einziehen – und findet sich wieder.

Don treffen wir als G.I. im besetzten Deutschland der Nachkriegszeit. Er verliebt sich bei einer Urlaubstour in die tschechische Ballerina Donna und nimmt sie mit in den Westen, in die . Streckenweise erinnert man sich bei den Schilderungen der Zustände in der an Milan Kunderas Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Literarisch hat der Schweizer Autor ganz schön was auf der Pfanne. Die Beziehung der beiden droht dennoch zu scheitern – aber: in den USA gründen die bodenständigen Menschen eine Familie, bekommen ihre Tochter Dee.

Über den Zustand der Welt lässt Bucher eine Nebenfigur des Romans schwadronieren:

„Mein Lebensziel war die Entwicklung der Kommunikation“, sagte er. „Menschen in aller Welt sollten sich gegenseitig zu Hause besuchen können, und bald wird es uns möglich sein, durchs holographische Farbfernsehen miteinander zu kommunizieren. Meine Annahme war die, daß die Menschen die Sprachen anderer Menschen lernen und herausfinden würden, daß ihre Probleme die gleichen sind. Vielleicht werden sie das tun. Ich bin kein Verfahrenstechniker des menschlichen Verhaltens. Im Grunde genommen bin ich der Diener eines Volkes, das sich gefügt und es vorgezogen hat, sein schwerverdientes Geld für Atom-U-Boote, Zerstörer, Bomben und Raketen auszugeben, statt für umweltfreundliche Verkehrsmittel, alternative Energiequellen, Reformen des Gesundheitswesens und eine Aufstockung der der öffentlichen Mittel für für Kunst und Geisteswissenschaften. (…) Ich habe gehofft, daß ein profundes Wissen von der Erde, rasch zu vermittelnde visuelle Begegnungen zwischen den verschiedenen Kulturen, die Möglichkeit, sofort Bericht zu erstatten von den üblichen Sorgen und Nöten, aus der Menschheit eine globale Gemeinschaft machen würden, einander angenehme Verwandte, die sich tagelang über gemeinsame Vorfahren unterhalten können und über das Vergnügen, sich gegenseitig zu erkennen und zu schätzen.“

Ein strahlendes Ende, Seite 111 ff.

Und dann ist da noch Christine: eine bekennende Lesbe, die sich durch die Prüderie der amerikanischen Nachkriegszeit ihren Lebensweg bahnt und schließlich auf einer kleinen Insel im Golf von Mexiko, vor der Küste von Mississippi als Fischerin lebt. Die Lebensbahnen der drei Protagonisten(gruppen) treffen sich wenige Wochen vor der Vernichtung auf dem Kennedy-Airport in New York. Danach begleiten wir sie nur noch in den Untergang.

Die gescheiterten Super-Romantiker Christopher und Grace müssen erleben, wie ihr Baby ihnen unter den Händen wegstirbt. Die Pragmatiker Don und Donna gehen unterschiedlichste Wege: Aufopferung, Mord aus Mitleid und der Strahlentod. Und Christine, die Zeit ihres Lebens Männern mit äußerster Skepsis begegnet, macht ihren Frieden mit dem „starken“ Geschlecht und schließt nicht nur Freundschaft mit dem Polizeichef ihres Bezirks, der wahrscheinlich asexuell ist, sondern auch mit dem heranwachsenden Sebastian, mit dem sie regelrecht in den Sonnenuntergang der Welt, wie wir sie kennen, segelt.

Thematisch eng verwandt und oben schon erwähnt habe ich Die letzten Kinder von Schewenborn. Ich bin jetzt außerdem gespannt auf Die Stimme der Delphine von Leo Szilard, dass in einem ähnlichen Kontext angesiedelt ist. Szilard war als Wissenschaftler am Manhattan-Projekt beteiligt, verfasste angeblich sogar den Einstein-Brief an Roosevelt, der den Bau einer Nuklearwaffe vorschlug, um einer deutschen Bombe zuvor zu kommen. Einen ganz anderer Natur hatte ich neulich schon vorgestellt: Der Tag der Auferstehung von Sakyo Komatsu.

Fazit

Zwischen den altgriechischen Blickwinkeln auf die menschliche Liebe (Agape, Eros und Philia) zeichnet Bucher eine Entwicklungsgeschichte seiner Protagonisten und lässt sie scheitern – oder gewinnen? – an der Singularität des Atomkrieges, des dreifachen Overkills des Planeten. Kein Mensch wird überleben. Probieren wir es in einer Million Jahre noch mal. Die Schilderungen sind lebhaft, die Story trotz mancher künstlerischer Überhöhung blieb so spannend, dass ich das Büchlein in zwei Abenden verschlungen habe. Thematisiert, wenn auch nur am Rande, wird die Frage, wie wir uns selbst verhalten sollten in einer Welt, die weiterhin in Gefahr ist: lethargisch wie viele unserer Mitmenschen, oder rebellisch für die Nachhaltigkeit des Lebens kämpfen?

Über das Buch Ein strahlendes Ende

Ein strahlendes Ende - François Bucher - Buchcover
Ein strahlendes Ende – François Bucher – Buchcover

Erschienen ist Ein strahlendes Ende 1984 – und blickt damit „nur“ zwei Jahre in seine eigene Zukunft. Meine Paperback-Ausgabe erschien mit der ISBN 9-783-442-083718 im Goldmann-Verlag, die Rechte lagen bei Bertelsmann in München. Auf 319 Seiten schreibt uns François Bucher die tragisch-schöne auf, übersetzt hat sie Götz Pommer.

Klappentext

„Um 16 Uhr 20 sind sechsundzwanzig Raketen und Marschflugkörper gestartet worden, sie steuern Ziele in der Sowjetunion an.“ Meldung des Atom-U-Boots „Corpus Christi“
Wenige Minuten später ist unsere Welt in eine strahlende Hölle verwandelt. Nur wenige überleben – zunächst.
Die Geschichte dieser Menschen erzählt Francois Bucher. Er schildert ihre Hoffnung, dem atomaren Holocaust doch noch zu entkommen, schildert ihre Liebe und ihre Träume, ihre Wut und schließlich ihre Verzweiflung.
Ein erschütternder Roman, der aufruft, für das Leben zu kämpfen.

Über den Autor François Bucher

François C. Bucher wird 1927 in Lausanne in der Schweiz geboren, ging in Zürich auf das Gymnasium und bekam seinen Bachelor in Kunstgeschichte 1941, bevor er seine Studien in Rom und Zürich fortsetzte. Seinen Doktorgrad erwarb er 1955 an der Universität Bern. Zwei Jahre zuvor war er in die USA emigriert und lehrte an der Universität von Minnesota, ab 1954 in Yale – wo er sich mit Albert Einstein anfreundete. Später ging er nach Princeton, bevor er 1978 Professor für Kunstgeschichte an der Florida State University wurde, dem letzten Meilenstein seiner akademischen Karriere.

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