Aktion Erde - Peter Lorenz - Umschlag: Stefan Duda - Buchcover

Aktion Erde – Peter Lorenz

Holla! In Aktion Erde von Peter Lorenz ist aber nicht viel Klischee von DDR-Science-Fiction drin. Die Gesellschaft der Zukunft, die Lorenz zeichnet, ist alles andere als kommunistisch – aber von vorn:

In drei Handlungssträngen nimmt uns Lorenz mit in seine Zukunft. Die ist alles andere als glänzend. Die Erde ist durch einen totalen Umweltkollaps völlig unbewohnbar geworden. Der Großteil der Menschheit hat sich rechtzeitig aus dem buchstäblichen Staub gemacht, um im Weltall auf künstlichen Basen zu siedeln. Demnächst sollen auch Exoplaneten in fremden Sonnensystemen untersucht und besiedelt werden.

Leben im Schacht

Auf der alten Erde hat sich zeitgleich eine Gruppe von Separatisten unter die Erdoberfläche zurückgezogen, die jetzt im „Schacht“ leben: mit Sauerstoffaufbereitung, Energieerzeugung und einem unglaublich mittelalterlich-stalinistischen Gesellschaftssystem, dass die „Terraten“ in fünf Klassen von A bis E einteilt. Die A-Terraten sind die Priviligierten (mit Wertbons im Überfluss, Alkohol und Prostituierten), bei den E-Terraten reicht es nicht einmal für einen vollen Magen – geschweige denn ordentlich Sauerstoff in der Atemluft. Nicht umsonst hat sich unter den Bewohnern des Schachtes der Gruß „Gute Luft!“ durchgesetzt. Ein wenig erinnert die Stimmung im Schacht an den Film „City Of Ember – Flucht aus der Dunkelheit“.

Zusammengehalten wird das System, das von einem Rat (so eine Art Oberster Sowjet), regiert wird, von einer Unterwelt-Stasi unter der Führung eines Mannes, den man sich gut als den Berija unter der Erde vorstellen kann.

Alle jungen Terraten durchlaufen gemeinsam eine polytechnisch-gesellschaftswissenschaftliche Ausbildung – an deren Ende eine Prüfung vor dem Rat steht. Diese entscheidet über die Zuordnung zu einem Level. Und wer in Marxismus-Leninismus nicht gut aufgepasst…ach nein: wer in der Geschichte der Terraten nicht gut aufgepasst hat, der landet eben definitiv nicht bei den A-Terraten, die kein Geld benötigen, schicke Kleider tragen, in ihren üppigen Wohnungen sogar einen luftdichten „Balkon“ zur Oberfläche haben, sondern auf der E-Ebene, wo man sein Bett mit den beiden Schichtkollegen teilt – und sich nicht einmal einen Anruf bei den ehemaligen Mitschülern in den oberen Ebenen leisten kann.

Leseprobe aus Aktion Erde

„Wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen warnten eindringlicher und lautstärker vor der drohenden ökologischen Katastrophe. Politiker forderten die verschiedenen Staaten und Staatengruppen zum gemeinsamen Handeln auf. Ständig größere Teile der Nationaleinkommen mußten aufgewendet werden, um lokalen Katastrophen zu begegnen, deren Ursachen im ökologischen Bereich lagen. Der Lebensstandard sank weltweit rapide. Doch die Interessenlage der diversen Staaten und Regionen war zu unterschiedlich, und noch immer wurden kurzfristige ökonomische Erfolge höher bewertet als die langfristige Verantwortung für die nachfolgenden Menschengenerationen!“

Der Prüfling Manuel Maarli hatte genau den richten Ton getroffen. Auf den Gesichtern von Lima Verde und Jeanne Perra spiegelte sich die Zufriedenheit. Und Manuel Maarli ging noch einen Schritt weiter, einen Schritt, den die Perra erhofft hatte. Manuel Maarli meldete seinen Anspruch auf einen der vakanten Ratssitze an, indem er sagte: „Ich bin persönlich sehr stolz darauf, daß einer meiner direkten Vorfahren zu den ersten gehörte, die ihre Stimme warnend erhoben und später aktiv an der Gründung der Terratengesellschaft mitwirkten.“

Mit diesem Prüfungsbeitrag wird Maarli zum A-Terraten – und später sogar zum Chef der Gen-Bank, die die Terraten seinerzeit mit unter die Erde schleppten, um eines Tages die Oberfläche wieder lebensfähig zu machen.

Überhaupt ist es diese Oberfläche, die extrem erstrebenswert erscheint in Aktion Erde. Der Ausbildungsjahrgang 211 nämlich drängt nach oben – und verschwört sich gegen das herrschende System.

Mit Karel Nygard im Weltall

In einem zweiten Handlungsstrang von Aktion Erde begleiten wir den Raumschiff-Käpt’n Karel Nygard, der mit seiner Crew von der großen Forschungsreise in den interstellaren Raum träumt. Aber kurz vor dem Ziel kocht ihn ein Konkurrent ab. Vom Oberkommando bekommt er einen neuen Auftrag zugeteilt: als Erster Offizier für den Raumpiraten Peer Alpha auf dessen „Solara III“ zu fahren, um Rettungsstationen auf der alten Erde und ihrem Mond zu warten. Peer Alpha verdient unterdessen mit der „Bergung“ und Versilberung von Erd-Artefakten ein ordentliches Schwarzgeld-Zubrot. Früher hätte man das Plündern genannt.

Auf dem Weg zur Erde gilt es, einige Konflikte zwischen den beiden Männern zu klären – und als es zur Katastrophe kommt (die „Solara III“ ist zu dicht dran, als eine automatische Atomwaffe in einem Militärsatelliten im Erdorbit zündet), muss Nygard über sich hinauswachsen, um seine Crew und den verhassten Alpha zu retten. Die lebensbedrohliche Strahlenkrankheit, die er sich dabei einfängt, wird dann mit psychologischen Mitteln geheilt.

Das Pflanzentier, die Tierpflanze

In einem dritten Strang lernen wir eine neue Art von Leben auf der Erde kennen – einer Symbiose aus Tier und Pflanze, dass sich evolutionär sehr schnell an die Gegebenheiten auf der Oberfläche anpasst. Die „Walze“ erinnert dabei stellenweise sogar ein wenig an die GROSSE AMÖBE aus Andromeda von Arne Sjöberg. Sie/Es wird am Ende zum Antagonisten der gesamten Menschheit auf dem Planeten werden.

Fazit

Am Ende schafft es Lorenz nicht, die drei Handlungsstränge soweit zusammenzubringen, wie das möglich gewesen wäre. Da spielt aber sicher auch eine Menge Wunschdenken von mir mit – denn ich hätte mir die Geschichte gerne noch zwei, drei Bände lang angeschaut. So endet das Buch tragisch, bitter, mit wenig Hoffnung – aber damit auch genau so, wie sich die Entwicklung der Menschheit auf der kaputten Erde abzeichnet – und wie saurer Regen, Klimawandel, Ozonloch den Blick in die Zukunft aus der Perspektive der 1980er Jahre zulassen. Die Kritik an Bürokratie und starrer, verknöcherter Politik ist unverhohlen. Dabei schreibt Lorenz nicht in Schwarz-Weiß-Klischees: die „fortschrittlichen“ Elemente, die aus dem Schacht an die Oberfläche drängen, haben ihre Fehler – ebenso wie der tolle, bewundernswerte Karel Nygard.

„Zwischen den neuen Ratsmitgliedern Simon und Maarli stand der Ausbildungsgang 211, stand der Unterschied der Ebenen, in denen sie bisher gelebt hatten (…), denn immer hatte sich der eine auf der einen, der andere auf der anderen terratischen Welt befunden, wenn es zum Schwur gekommen war.“

Über das Buch Aktion Erde

Aktion Erde ist 1988 im Mitteldeutschen Verlag Halle/Leipzig unter der ISBN 3-354-00329-4 als Paperback erschienen. Im gleichen Jahr erschien noch eine zweite Auflage. Den Umschlag gestaltete Stefan Duda.

Aktion Erde - Peter Lorenz - Umschlag: Stefan Duda - Buchcover
Aktion Erde – Peter Lorenz – Umschlag: Stefan Duda – Buchcover

Klappentext zu Aktion Erde

Die Menschheit siedelt längst auf Rauminseln und in fernen Galaxien. Nur wenige, die Terraten, haben sich in einen Berg gegraben und versorgen sich notdürftig mit Energie und Lebensmitteln. Sie hüten eine Genreserve von Pflanzen und Tieren, die eine Neubesiedlung der Erde, das zweite Paradies, ermöglichen soll. Auf der Suche nach technischen Antiquitäten nähert sich ein Raumboot dem Mutterplaneten. Und junge Terraten wollen nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag warten, sie beginnen mit der Rekultivierung der Erdoberfläche, erste grünen Oasen entstehen. Doch ohne Wissen und Einfluß des Schöpfers Mensch wuchert eine neue Lebensform in pflanzlich-tierischer Symbiose, und grüne Walzen rollen, alles verschlingend, durch die Ödnis…Dieser Roman ist ein bitterer Traum von einer Zeit im nächsten Jahrtausend, die anbrechen könnte, wenn die drängenden Probleme der Gegenwart nicht vernüntig gelöst werden.

Über den Autor Peter Lorenz

1944 wird Peter Lorenz in Erfurt geboren, arbeitet als Schlosser. Später studiert er Biologie und Chemie, wird Fachlehrer und Lehrmeister. Nach einer Arbeit als selbstständiger Kunsthandwerker lässt er sich in Erfurt als freischaffender Schriftsteller nieder.

Peter Lorenz, Foto: privat - aus „Die Science-fiction der DDR - Autoren und Werke“ von Simon und Spittel
Peter Lorenz, Foto: privat – aus „Die Science-fiction der DDR – Autoren und Werke“ von Simon und Spittel

Peter Lorenz beschäftigt sich auch schon vorher mit der Umwelt-Problematik. In „Blinde Passagiere im Raum 100“ soll ein Fluss Elaas („Saale“ rückwärts) heißen – und Lorenz einen Besuch von der Stasi eingebracht haben (so beschreiben es Peter Brockmeier und Gerhard R. Kaiser in ihrem Buch „Zensur und Selbstzensur in der Literatur (EUR 30,00)“ (Königshausen & Neumann, 1996) auf Seite 287. Damit kannte sich Lorenz schon aus, war er doch 1966 wegen Staatsverleumdung zu zwei Jahren hinter schwedischen Gardinen verurteilt worden. „Es hing wie so oft mit der Biermann-Affäre zusammen; er hatte als relativ kleines Licht das Pech, daß ein DDR-Verantwortungsträger diesen Umstand als für seine eigene Karriere lohnendes Opfer ansah – so zumindest die Sichtweise des Betroffenen“, schreibt Thomas Hofmann im Zusammenhang mit einem Abend mit Peter Lorenz bei den Leipziger Science-Fiction-Freunden 1996.

Zehn Jahre später ist Lorenz offenbar wieder gesellschaftsfähig. Mit seinem ersten Roman „Homunkuli“ (1978) erhält er den Debütantenpreis des Ministeriums für Kultur der DDR. Mit „Quarantäne im Kosmos“ (1981), „Blinde Passagiere im Raum 100“ (1987) und „Aktion Erde“ (1988) erscheinen insgesamt vier Romane von Lorenz in der DDR. Am 20. November 2009 stirbt der Schriftsteller und Fotograf und wird in aller Stille beigesetzt.

2 Kommentare

  1. das pflanzentier, dessen bewegungen im roman über längen- und breitengrade angegeben werden, kreist übrigens auffällig in der nähe von tschernobyl herum

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