Zwischen Sarg und Ararat - Werner Steinberg - Illustration: Helmut Andreas Paul Grieshaber - Buchcover

Zwischen Sarg und Ararat – Werner Steinberg

Stell dir vor, du erwachst in einem Raumschiff. Deine Kollegen von der Besatzung sind während der Reise geboren, kaum einer von ihnen kennt noch persönlich die Startwelt. Und absehbar in den nächsten Generationen wird niemand deiner Mitreisenden auf die Erde zurückkehren. Wenn du dir das vorstellen kannst, dann bist du als Leser schon mittendrin Zwischen Sarg und Ararat.

Und Werner Steinberg macht nicht erstmal eine Vergnügungsfahrt im Orbit mit dir – nein: sprachgewaltig, eckig und farbig nimmt er dich gleich mit in den ersten großen Konflikt des Buches: Maria ist schwanger. Und die Zeichen stehen darauf, dass das ungeborene Kind in ihrem Bauch behindert sein wird. Der Vater des Kinder ist Jacques Perrault, der Genetiker des Raumschiffs Messenger. Zusammen mit dem Bordarzt Diop und dem tyrannischen Kommandanten Ulf Seitz muss er entscheiden, ob sein Kind abgetrieben wird – und als gefrostete Leiche im Weltall wie ein Kieselstein ausgeworfen wird, um den Weg der Messenger für alle Zeiten zu markieren. Lebensunwertes Leben? Euthanasie? Moralische und gesellschaftliche Pflicht contra persönliche Hoffnung? Wahrlich: schon das erste Kapitel geht ordentlich ran.

Leseprobe(n) aus Zwischen Sarg und Ararat

„Der Druck von Sonja Tornacks Hand auf seinem Arm verrät Mrozek nicht nur ihre Spannung, verrät ihm auch, daß sie begriffen hat: Die Mißgestalteten müssen nicht Verlorene sein, die Mißgestalteten sind fähig zu lächeln und Freude an ihrem Dasein zu empfinden. Sie hat auch verstanden, daß es selbst dem spitzfindigen Genetiker doppelt schwerfallen würde, der Abtreibung seines Kindes zuzustimmen, wüßte er, daß er damit dessen Lächeln und Freude vernichtete.“

Und ein paar Seiten weiter

„Trotz überkommt ihn (Jerzy Mrozek), verbissen erwidert er: Alles wird hier verarbeitet, nur nicht die toten Hüllen. Sie wirft man ins All aus, als wäre darin noch ein Quentchen Menschentum – während es niemanden schert, daß die Lebenden unmenschlich vegetieren müssen! Warum das Tabu? Ich kann es nicht achten. Machen wir tabula rasa!“

Der Konflikt

Die 60 Menschen an Bord, von denen nur Bordarzt Diop festen Boden unter den Füßen kennt, stehen unter der Fuchtel ihres Kommandanten. Einzig Mrozek ist ein Träumer. Der Geschichtsbewahrer hat neben dem Kommandanten als einziger die Befugnis, eine Art Holodeck zu benutzen, dass das Wissen und die Erfahrungen der irdischen Menschheit bereitstellt. Und als es zum offenen Konflikt mit Kommandant Seitz kommt, schneidet dieser ihm den Zugang zum „Triosighter“ ab.

Der Konflikt zwischen dem Kommandanten (und seinem brutalen Kumpel) und Mrozek eskaliert. Dabei kommen letzterem noch einige andere Kameraden aus der Besatzung zu Hilfe. Allen voran die beiden Astronavigatoren Gabriela und Silvio Montalvo, die den Kurs der Messenger in Richtung des Sternensystems Omikron Tau 13b umleiten. Offiziell will Silvio, der als Kind bei einem Unfall verkrüppelt wurde, durch die Gravitation des Systems den Messenger beschleunigen.

Als Seitz seinen Widersacher Mrozek aber in dessen Kabine festsetzt, durchkreuzt die Besatzung der clever meuternden Kosmos-Bounty die Pläne von Ulf „Bligh“ Seitz und zwingt das interstellare Riesenschiff zur Landung auf einem Exoplaneten mit lebensfähiger Atmosphäre – wobei Mrozek, der in einer Landefähre fliehen kann, von der Messenger getrennt wird.

Die Sprache in Zwischen Sarg und Ararat

Werner Steinberg bedient sich einer teilweise eigenwilligen Interpunktion: keine Kennzeichnung der wörtlichen Rede, immer wieder seltsame Dreieraufzählungen ohne Komma. Manchmal bringt es Schliff und Tiefgang in die Sprache, an anderen Stellen wiederum wirkt dieses Kokettieren ganz schön aufgesetzt und gestelzt. Dabei weckt er aber mit seiner sprachlichen Wirkung auch ganz ungeahnte Bilder im Kopf: als nämlich der Krüppel Silvio als erster aus dem Messenger aussteigt, geschieht das über die Außenschleuse des Raumschiffs, dass unter Wasser liegt. Und ehe man es sich versieht, schwimmt man mit dem Scaphander-bewehrten Silvio in einer Art Fruchtblase durch das gelbe Fruchtwasser des Planeten an die Oberfläche. Sprachlich findet hier direkt eine zweite Geburt von Silvio Montalvo statt.

First contact

Die überreiche Flora des Planeten wird ergänzt durch zweierlei Wesen: kissenförmige Flieger, mit denen offenbar Verständigung möglich ist, sind anscheinend die eigentlich hier heimischen Bewohner des Planeten. Dazu kommen fliegende Kugeln mit Stacheln, offenbar Werkzeug überentwickelter Wesen. Die Kugeln haben die Flugtiere versklavt, um Energie für ihre Zentrale zu bekommen. Wer im Flugwesen-KZ stirbt, kommt in ein Massengrab. Bis die Menschen den Kugeln auf die Schliche kommen.

Kommandant Seitz unterdessen gerät bei dem Versuch, den Messenger auszuräumen, auf seine Art mit den bewaffneten Kugeln aneinander: wie im biblischen Alten Testament (Auge um Auge, Zahn um Zahn) nimmt er den Konflikt auf.

So hat Seitz den Krüppel Montalvo immer verachtet, wollte dessen Leben nach dem Unfall beenden. Am Ende nehmen die Kugeln ihm Füße und Hände. Jetzt ist er ein Krüppel. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Biblische Motive sind immer mal wieder in die Geschichte verwoben. Zwischen dem fliegenden Sarg „Messenger“, in dem die halblebenden-halbtoten Besatzunsmitglieder vegetieren und dem Berg Ararat, an dem die interstellare „Arche Noah“ zerschellt, entzündet sich ja die gesamte Geschichte.

Schlußendlich klären sich die gesellschaftlichen Probleme zwischen dem geschlagenen Despoten und seinem Nachfolger Montalvo. „Ich glaube, wir müssen ganz anders leben“, ist der Schluss-Satz des Buches – und wird wohl auch zum Motto des Zusammenlebens dreier Intelligenzen auf dem Planeten werden (müssen).

Fazit

Zwischen Sarg und Ararat ist seit Langem mal wieder ein Buch, dass ich in einem Rutsch und innerhalb von 24 Stunden gelesen habe. Die Story ist energiegeladen, die Atmosphäre überzeugend, düster gestaltet und der wohl größte Pluspunkt sind die hervorragend gezeichneten Charaktere, die Steinberg entwickelt. Da nimmt man sogar die auftauchenden sprachlichen Spleens des Autors mit einem Lächeln hin. Klare Leseempfehlung – und noch eine witzige Sache: Das Buch steht in meinem Bücherschrank direkt neben „Andymon“ von den Steinmüllers – das war auch eine spannende interstellare Archen-Geschichte.

Über das Buch Zwischen Sarg und Ararat

Zwischen Sarg und Ararat - Werner Steinberg - Illustration: Helmut Andreas Paul Grieshaber - Buchcover
Zwischen Sarg und Ararat – Werner Steinberg – Illustration: Helmut Andreas Paul Grieshaber – Buchcover

Im Greifenverlag zu Rudolstadt ist Zwischen Sarg und Ararat im Jahr 1978 erschienen. Die mir vorliegende zweite Auflage von 1981 ist ein Hardcover mit 252 Seiten, dass seinerzeit 6,80 Mark gekostet hat. Den Schutzumschlag habe ich leider nicht. Die Illustrationen dort und auf dem Einband hat HAP (Helmut Andreas Paul) Grieshaber beigesteuert.

Klappentext Zwischen Sarg und Ararat

Seit mehr als sechs Jahrzehnten eingeschlossen in die sterndurchfunkelte Schwärze des Alls, reist eine Gruppe von Menschen äonenfernen Weiten entgegen. Unbekannte Formen des Lebens in anderen Sonnensystemen unserer Galaxis zu erkunden – so lautete der gewaltige Auftrag, mit dem der „Messenger“ dereinst von der Erde aus gestartet wurde. Längst schon ist eine zweite Generation geboren und herangewachsen; sie kennt die irdische Heimat nicht und wird sie nie erblicken. Das Gesetz, dem diese Menschen nach dem Willen ihres Kommandanten Ulf Seitz unterworfen sind, ist von unerbittlicher Härte: nur noch als Rädchen und Schräubchen sollen sie funktionieren im Dienst technischer Perfektion, damit – wann? wo? warum? – ein Gebot erfüllt werden kann, das immer mehr zur inhaltsleeren Formel gerinnt. Doch in einer zugespitzten Konfliktsituation flackert Widerstand auf. Dem verachteten Buckligen Silvio Montalvo und anderen dämmert eine Ahnung davon, daß hier Inhumanes und Irriges geschieht: ein großes menschliches Ziel verkehrt sich allmählich in sein Gegenteil. Da bietet die unverhoffte Landung auf einem erdähnlichen Planeten Gelegenheit, sich in tätiger Auseinandersetzung mit der rätselhaften Umgebung neu zu bewähren, zurückzufinden in ein sinnvolles Dasein. Mannigfache Fährnisse und Abenteuer – von Werner Steinberg zu spannungsvollen Szenen verdichtet – erwarten die Raumfahrer, und am Ende steht die Einsicht, daß sie alle ganz anders werden leben und handeln müssen als bisher. So weitet sich dieser utopische Roman zum Gleichnis und hilft auf unterhaltsam-phantastische Weise, Antworten zu suchen auf Fragen unserer Zeit.

Über den Autor Werner Steinberg

Werner Steinberg wurde am 18. April 1913 im schlesischen Neurode geboren. Im heutigen südlichen Polen wuchs er auf, studierte Pädagogik und wurde unter den Faschisten 1934 verhaftet und zu drei Jahren Haft verurteilt, weil er einer Widerstandsgruppe angehört haben soll. Kontorist, Verlagsbuchhändler, Herausgeber und Journalist sind weitere Stationen seines beruflichen Weges. Nach dem Krieg lebt er erst in Schwaben, später in Düsseldorf. Mit dem Verbot der KPD in Westdeutschland geht er 1956 als freischaffender Schriftsteller in die DDR. Dort gab es dann in den 1970er Jahren Komplikationen mit der Staatsführung. Er schreibt einen großen Roman-Zyklus über das Leben in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, einige Krimis und mindestens zwei Science-Fiction-Romane: Die Augen der Blinden und Zwischen Sarg und Ararat.

Mit der politischen Wende kommen auch Probleme auf Steinberg zu. 1992 erleidet er einen Schlaganfall und stirbt am 25. April 1992 in Dessau.

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