Quarantäne im Kosmos - Peter Lorenz - Buchcover - Illustration: Werner Ruhner

Quarantäne im Kosmos – Peter Lorenz

Oh, Peter Lorenz – wie ich seinen Schreibstil mag! Und Quarantäne im Kosmos ist da keine Ausnahme. Und das, obwohl die halbe Story auf der Erde spielt.

Aber ich will nicht dem Fazit vorgreifen. Der Erstlingsroman von Lorenz beginnt in einem großen Glasbetonbau. Per und Lif Engen, zwei Biologen, sind hier, um sich von einem Scheidungscomputer scheiden zu lassen. Das geht gründlich schief. Die Maschine weigert sich – und eine Wiedervorstellung zur Scheidung kann frühestens in einem Jahr erfolgen.

Dennoch gehen die beiden getrennte Wege – so wie sie es beruflich ohnehin schon seit einiger Zeit tun. Lif ist Meeresbiologin, die krampfhaft versucht, in ihrem Forschungsprojekt unter der Leitung Professor Haxwells eine Meereszone zu „renaturieren“. Die riesige Wasserfläche ist nahezu tot, völlig umgekippt. Mit Hilfe von Lifs Algenzüchtung soll das Wasser gereinigt, also optimiert, werden, anschließend sollen Fische die Algenpopulation kurzhalten und als Nahrung für die Erdbevölkerung dienen. Aber irgendwie ist ständig der Wurm drin – und zu allem Unglück wird Lif auch noch bei einem medizinisch-sportlichen Test, den sie eigentlich mit Bravour besteht, aufgrund einer Computerpanne (?) gegroundet.

Vom Schelfmeer zum

Unterdessen ist ihr Noch-Ehemann im Raumschiff Hirundo auf dem Weg vom zum Transpluto, als die Besatzung auf eine schillernde, spiegelnde Kugel im All aufmerksam wird, die sehr, sehr seltsame physikalisch-psychologische Vorgänge auslöst. Als man der Kugel endlich im Ansatz auf die Schliche kommt und sich vor dem sicher geglaubten Tod retten kann, wird sie in Schlepp genommen und auf einem Parkorbit um den Mars zusammen mit der Hirundo in Quarantäne im Kosmos geschickt.

Quarantäne im Kosmos - Peter Lorenz - Illustration: Werner Ruhner
Quarantäne im Kosmos – Peter Lorenz – Illustration: Werner Ruhner

Während ein Großteil der Besatzung der Hirundo zugrunde geht, öffnet die Kugel sich für drei Besatzungsmitglieder des irdischen Raumschiffs – und assimiliert diese. Dort trifft Ich-Erzähler Per Engen auf Kalla, ein außerirdisches Wesen – mit acht Armbeinen am Kopf. Und diese führt den Erdbiologen in die Geheimnisse der extraterrestrischen Überintelligenz ein. Auf einer Reise durch die der Oktopoden, die Materie umwandeln können besucht er unter anderem die Geburtsstunde der „Sphäre“ – die Materie ausschlachtet, um daraus eine perfekte Lebensumgebung für die Gesamtheit der Oktopoden zu erzeugen. Dagegen regt sich – wenn auch geringer – Widerstand. Soll man das kleine (sozialistische) Glück des Individuums für das Über-Glück der Gesamtgesellschaft riskieren? Egal. Die Sphäre wird gebaut.

Optimierung und Endzeitstimmung

Parallel dazu hat Lif auf der Erde einen Nervenzusammenbruch, nachdem sie von ihrem Projekt wegen des falschen Fitness-Nachweises abgezogen wird. Im Sanatorium trifft sie auf den in Würde ergrauten Biologen Professor Briand: und der hat eine ganz verrückte Idee: Optimierung ist nicht das Allheilmittel, sondern birgt riesige Risiken in sich. Und ehe man sich's versieht: in Äquatorialafrika sind weite Teile der optimierten Zonen umgekippt. Kann die fast ausgerottete Anophelesmücke das Sterben der Plantagen aufhalten?

Per wird unterdessen immer mehr von Kalla umgebaut. Ihm wachsen Nahrungsschuppen und acht Arme/Beine. Zusammen mit Kalla reist er weiter auf dem Trip, einer Zeitreise durch die Entwicklungsgeschichte der „Denkheit“ – bis er plötzlich vor ihrem existenzbedrohenden Problem steht. Und das ist ziemlich abgefahren: die Oktopoden sind stenotherm. Eine geringe Temperaturabweichung ihrer Umgebung führt zum sicheren Tod. Und macht sie damit zu Gefangenen auf ihrer jeweiligen speziellen Insel in der Sphäre.

Leseprobe aus Quarantäne im Kosmos

„Du hast selbst miterlebt, wie eine zersplitterte Gesellschaft degeneriert. Uns fehlt eine echte Aufgabe. Unsere Vorfahren haben uns nichts übriggelassen außer die Möglichkeit der Destruktion. Und eines Tages, ein geringer Fehler wird genügen, wird auch das Produktionssystem zusammenbrechen. Wir haben zwar die Zentrale auf unserer Scheibe, aber die Produktionsstätten befinden sich außerhalb unseres Temperaturbereichs.“
Ich muss daran denken, mit wie vielen Hoffnungen wir die Kugel untersucht haben. Daß es uns vorgekommen war, wir könnten im Wissen einer unendlichen großen Denkheit baden. Vor dem Fusionsreaktor haben wir fast andächtig verharrt. Aber letztlich hat uns das Labyrinth, hat uns Kalle fasziniert und genarrt. Jawohl, genarrt. Wir haben uns verführen lassen. Wir sind mitgegangen. Wir haben die Opfer erbracht. Und nun stehen wir da.

Als die drei irdischen Oktopoden die Kugel kurzzeitig verlassen, treffen sie ihr Schicksal: sie werden nie auf die Erde zurückkehren können. Aber was wird nun aus ihnen? Was wird aus den Oktopoden? Und was wird als Lif und Per? Quarantäne im Kosmos bleibt abgefahren bis zur letzten Seite.

Fazit

Zwei parallele Handlungsstränge, die aber das gleiche Problem aus unterschiedlicher Perspektive aufzeigen: einmal von Beginn an auf der Erde (Lif) – und dann vom Ende her gedacht, aus der Per-Perspektive zeichnet Lorenz eine Kritik des unbedingten Fortschrittsstrebens. Wenn die Science-Fiction in der DDR anfangs in den 1950er Jahren einen ausgesprochen optimistischen Blick in die Zukunft bietet, zeichnet Lorenz hier ein sehr düsteres Bild – will dabei aber wohl nur warnen, ohne dabei die Hoffnung auf Besserung zu zerstören. Literarisch ist Quarantäne im Kosmos saubere Handarbeit, phantasievoll und an keiner Stelle langweilig.

Über das Buch Quarantäne im Kosmos

Quarantäne im Kosmos - Peter Lorenz - Buchcover - Illustration: Werner Ruhner
Quarantäne im Kosmos – Peter Lorenz – Buchcover – Illustration: Werner Ruhner

Für den unschlagbar günstigen Preis von 6,20 Mark erschien Quarantäne im Kosmos 1981 in der Reihe „Spannend erzählt“ als Hardcover (Band 168) des Verlages Neues Leben, Berlin. Die Basar-Paperback-Version erschien später mit denselben Illustrationen. Die mir vorliegende zweite Auflage der Basar-Reihe folgte zwei Jahre später. Einband und Illustrationen in dem Paperback mit 203 Seiten stammen von Werner Ruhner. (Vielen Dank an Karsten Kruschel für die Ergänzung und Korrektur.)

Klappentext

Peter Lorenz, Chemiker und Biologe, jetzt freischaffender Schriftsteller, bekannt durch seinen „Homunkuli“ schildert den Versuch einer zukünftigen Gesellschaft, überkommene Umweltschäden zu beseitigen. Heftiger Streit um dieses Problem gefährdet die Ehe der Biologen Per und Lif Engen. Sie wollen sich trennen, doch dann stellt sie ein atemberaubendes Kosmosabenteuer vor eine schwerwiegende Entscheidung und zwingt zum Nachdenken über die Zukunft der Menschheit.

Über den Autor Peter Lorenz

1944 wird Peter Lorenz in Erfurt geboren, arbeitet als Schlosser. Später studiert er Biologie und Chemie, wird Fachlehrer und Lehrmeister. Nach einer Arbeit als selbstständiger Kunsthandwerker lässt er sich in Erfurt als freischaffender Schriftsteller nieder.

Peter Lorenz, Foto: privat - aus „Die Science-fiction der DDR - Autoren und Werke“ von Simon und Spittel
Peter Lorenz, Foto: privat – aus „Die Science-fiction der DDR – und Werke“ von Simon und Spittel

Peter Lorenz beschäftigt sich auch schon vorher mit der Umwelt-Problematik. In „Blinde Passagiere im Raum 100“ soll ein Fluss Elaas („Saale“ rückwärts) heißen – und Lorenz einen Besuch von der Stasi eingebracht haben (so beschreiben es Peter Brockmeier und Gerhard R. in ihrem Buch „Zensur und Selbstzensur in der Literatur (EUR 30,00)“ (Königshausen & Neumann, 1996) auf Seite 287. Damit kannte sich Lorenz schon aus, war er doch 1966 wegen Staatsverleumdung zu zwei Jahren hinter schwedischen Gardinen verurteilt worden. „Es hing wie so oft mit der Biermann-Affäre zusammen; er hatte als relativ kleines Licht das Pech, daß ein DDR-Verantwortungsträger diesen Umstand als für seine eigene Karriere lohnendes Opfer ansah – so zumindest die Sichtweise des Betroffenen“, schreibt Thomas Hofmann im Zusammenhang mit einem Abend mit Peter Lorenz bei den Leipziger Science-Fiction-Freunden 1996.

Zehn Jahre später ist Lorenz offenbar wieder gesellschaftsfähig. Mit seinem ersten Roman „Homunkuli“ (1978) erhält er den Debütantenpreis des Ministeriums für Kultur der DDR. Mit „Quarantäne im Kosmos“ (1981), „Blinde Passagiere im Raum 100“ (1987) und „Aktion Erde“ (1988) erscheinen insgesamt vier Romane von Lorenz in der DDR. Am 20. November 2009 stirbt der Schriftsteller und Fotograf und wird in aller Stille beigesetzt.

4 Kommentare

  1. Soweit alles richtig, nur die Angaben zur Erstausgabe stimmen nicht. Der Roman erschien zuerst 1981 in der Reihe „Spannend erzählt“ als Hardcover (Band 168). Die Basar-Paperback-Version erschien später mit denselben Illustrationen. Das fiel mir allein deswegen auf, weil ich QiK damals für meine Diss analysiert habe und das Hardcover entsprechen zerlesen aussieht …

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