"Die Rakete überfliegt in 1700 km Höhe Mittelamerika" - Blick aus dem Raumschiff - "Erde ohne Nacht" von H.L. Fahlberg, Illustration: Karl-Heinz Birkner

H. L. Fahlberg – Erde ohne Nacht

Ich falle mal mit der Tür ins aus: Mit einem Beutel Bierflaschen als blinder Passagier ins All – so stellt sich Fernsehreporter Conny Bell seine Reise mit der gigantischen Rakete „Trabant“ vor, um exklusiv die erste Reportage von der Baustelle aus dem Kosmos zur Erde zu schicken. Das war zumindest die Stelle, bei ich am lautesten gelacht habe.

Von der Erde in den Orbit

"Eine Zubringer-Rakete startet zur Raumstation" - "Erde ohne Nacht" von H.L. Fahlberg, Illustration: Karl-Heinz Birkner
„Eine Zubringer-Rakete startet zur Raumstation“ – „Erde ohne Nacht“ von H.L. Fahlberg, Illustration: Karl-Heinz Birkner

Ein „technischer Zukunftsroman“ soll das kleine Büchlein aus der gelben Reihe des Verlags „Das Neue Berlin“ sein – und ist doch eigentlich ein Krimi, der in der Weltraum-Szene der 1950er Jahre spielt. Klar definiert sind Gut und Böse. Die Welt hat sich zusammengeschart und globale Gremien zur Erforschung des Weltraums gebildet. Nur die Nordamerikaner spielen nicht mit und wurschteln an einer militärisch nutzbaren Raumstation herum.

Da empfangen die Kosmos-Pioniere ein Signal vom Mond. Sind dort Menschen mit einer Rakete in einer geheimen Expedition gelandet? Oder sind gar außerirdische auf dem Vorposten der Erde in Stellung gegangen? Neben der Romanhandlung begleiten wir die – natürlich sozialistische – Weltgemeinschaft (minus Nordamerika) auf ihrem Weg in den Kosmos. Vom ersten bemannten Flug über den Aufbau einer Raumstation bis hin zum ersten Flug zum Mond sind wir dabei, die Ereignisse der kommenden Jahre aus der Perspektive der DDR von 1956 zu erleben.

Und auch, wenn vieles heute ein wenig ulkig anmutet – so zeigt sich Fahlberg doch auf der Wissens-Spitze seiner Zeit. Denn auch die Amerikaner haben eine zeitlang darauf herumgedacht, auf dem Weg zum Mond erst noch den (Um)weg über eine Raumstation zu nehmen, um von dort energieeffizient zu starten. Kopplungsmanöver zweier Raumflugkörper waren auch noch nicht bis aufs i-Tüpfelchen zu Ende gedacht – und so steigt kurzerhand ein Monteur der Trabant-Rakete aus und holt die Zubringer-Rakete mit einem handelsüblichen Seil ab. Und auch ulkig ist, wenn der 1956er Wissenschaftsautor dem unbedarften Leser erklärt, warum man in der Weltraumkombüse keine Koteletts braten kann.

Von der Raumstation zum Mond

Mit Blumentopf und Tabakspfeife in den Kosmos: "Eine Zubringerrakete hat weiteres Baumaterial für den Trabanten gebracht und wird nun entladen" - "Erde ohne Nacht" von H.L. Fahlberg, Illustration: Karl-Heinz Birkner
Mit Blumentopf und Tabakspfeife in den Kosmos: „Eine Zubringerrakete hat weiteres Baumaterial für den Trabanten gebracht und wird nun entladen“ – „Erde ohne Nacht“ von H.L. Fahlberg, Illustration: Karl-Heinz Birkner

Dreizehn Jahre vor der realen Mondlandung konnte man auch noch realistisch Angst vor Mondmöndchen haben – kleinen Trümmern, die unseren Mond umkreisen und dabei auch zur Gefahr für Raumschiff und Besatzung werden. Und was natürlich auch nicht fehlen darf in der Welt der Fünfziger: die Ultraschallwellen. So friemeln die beiden seltsamen Käuze Ingenieur Modera und Meister Baumann ständig an einem bahnbrechenden Empfänger herum, der auch noch die Polizei und den Werksgeheimdienst auf den Plan ruft – und Kopfschmerzen verursacht.

Was bringt die Mondlandung? Nun – ohne zuviel zu verraten – die Lösung eines technischen Problems, um die Erde mit einer „Hilfssonne“ auszustatten. Diese soll die Polgebiete abtauen und die nördlichen Gebiete Amerikas, Europas und Asiens als neue Lebensräume gewinnen. Bedenken in Sachen Klimawandel und so? Fehlanzeige. Außer bei den Amerikanern, aber bei denen auch nur aus den falschen Gründen. Liest sich schon ungewollt komisch in Zeiten von Trump und Co. Aber das passt in den zeitlichen Duktus eines Buches, dass in Nebensätzen präsentiert, dass der Verkehrskollaps die Menschheit in atomgetriebene Flugzeuge zwingt, die den Himmel verstrahlen – und man die Menschheit auf medizinischem Wege versucht, auf lange Sicht strahlungsunempfindlich zu machen.

"Die Rakete überfliegt in 1700 km Höhe Mittelamerika" - Blick aus dem Raumschiff - "Erde ohne Nacht" von H.L. Fahlberg, Illustration: Karl-Heinz Birkner
„Die Rakete überfliegt in 1700 km Höhe Mittelamerika“ – Blick aus dem Raumschiff – „Erde ohne Nacht“ von H.L. Fahlberg, Illustration: Karl-Heinz Birkner

Dabei hat „Erde ohne Nacht“ aber auch durchaus seine überdurchschnittlich schönen Seiten. Frauen sind nämlich nicht nur schmückendes Beiwerk in der Geschichte oder gut für die – zugegeben sogar recht gute – Romanze im Buch, sondern durchaus auch Teil der neuen Gesellschaft: Vera Tornay etwa ist leitende WIssenschaftlerin in dem Betrieb, der den (natürlich Atom)-Treibstoff für die Raumfahrt liefert. Und Irene Lenander, die Tochter des Werksdirektors und leitenden Wissenschaftlers, ist eine angesehene Künstlerin. Die beiden Damen sorgen zusammen mit den beiden Ingenieuren Knut Larring und Rolf White obendrein für eine ausgesprochen wacklige Vierecksbeziehung, die man Mitte der Fünfziger Jahre wohl so auch alleinstehend als Buch hätte vermarkten können.

Schön rustikal und kurzweilig zu lesen ist „Erde ohne Nacht“ auf jeden Fall. Zwischen Krupkats Beschreibung des ausstehenden Wettlaufs ins Weltall in „Die große Grenze“ und dem Spionage- und Sabotagekrimi „Ultrasymet bleibt geheim“ von Heinz Vieweg reiht sich der Roman schön ein in eine wundervolle und abenteuerliche Welt des Aufbruchs in den (sozialistischen) Kosmos.

Über den Autor

H.L. Fahlberg ist das Pseudonym von Hans Werner Fricke. Unter dem gleichen Namen sind auch die Romane „Betatom“ (1957) und „Ein Stern verrät den Täter“ (1955) erschienen. Nach einem Studium der Mathematik und Physik arbeitete er als Dozent für Physik. Nach diesen drei utopischen Romanen veröffentlichte er wissenschaftliche Sachbücher.

Über das Buch

Buchcover
Buchcover: „Erde ohne Nacht“ von H.L. Fahlberg, Illustration: Karl-Heinz Birkner

Ursprünglich ist „Erde ohne Nacht“ 1956 in der „Gelben Reihe“ erschienen. Danach gab es weitere Auflagen. Das Nachwort: „Utopie und Möglichkeit“ stammt ebenfalls vom Autor von H.L. Fahlberg. Illustriert ist das Buch von Karl-Heinz Birkner.

Klappentext

Ach ja, es ist schön, sich im Zeitalter des Atoms einmal auf einen vergessenen Heidegasthof zurückzuziehen und seine Mahlzeiten auf Holzfeuer bereiten zu lassen. Die hübsche Atomphysikerin Vera und ihr Geliebter, der Raketeningenieur Larring, genießen die Romantik unserer Tage. Aber dann rufen wieder die Aufgaben der Zeit. Larring startet von dem ersten künstlichen Trabanten unserer Erde zum Mondflug. Gefährlich und atemberaubend ist dieses Unternehmen, aber das große Vorhaben gelingt. Der Mond wird erforscht. Durch die Ergebnisse des Fluges ist es möglich, aus dem Monde mit Hilfe der Atomnergie eine zweite Sonne zu machen. Dadurch verändert sich das Klima und die Bedürfnisse der Menschen können im Überfluß befriedigt werden. Vera und Larring haben einen großen Anteil an diesem Erfolg, aber sie sind keine „Supermen“. Bescheiden gehen sie allen Ehrungen aus dem Wege und genießen in der Gemeinsamkeit ihr eigenes Glück.

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